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Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)

Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)

Titel: Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Kraus
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Weg geraten, der im Totalitären endet.»

Führen und wachsen lassen
    Der Glaube, alles «machen» zu können, verführt. Die Grenzen pädagogischen Planens sind jedoch eng. «Wo aber Planen und Wissen, statt Mittel unter der umgreifenden Führung zu sein, unwillkürlich selber Zweck werden, da verwandelt sich Erziehung in Abrichtung, der Mensch in Funktion» (Jaspers). Die moderne Pädagogik propagiert gleichwohl einen Machbarkeitswahn, den wir im Bereich der Technik leidenschaftlich kritisieren. Dabei wären, gerade wenn es um Kinder geht, eben Demut und ein Wissen um die Grenzen des Planens angesagt. Einer der führenden Philosophen, Pädagogen und Psychologen der beginnenden Neuzeit, der gebürtige Spanier Johann Ludwig Vives (1492–1540), hat darauf bereits aufmerksam gemacht. Für ihn sind Demut, Bescheidenheit und Vertrauen in die eigene Aufgabe sowie in den Zögling entscheidende Haltungen des Erziehers (vgl. Kraus 1956).
    Natürlich bedeutet Erziehen auch Eingreifen – am besten in liebevoller Strenge. Das lateinische «educare» bedeutete ursprünglich ja «gerade richten, was krumm ist». Immer aber muss Erziehung antinomisch angelegt sein, denn es heißt zugleich: führen und wachsen lassen, eingreifen und geschehen lassen, binden und befreien. Jede einseitige Betonung eines dieser beiden Pole ist falsch. Je nach Alter und je nach Situation muss man als Erziehender mal mehr wachsen lassen, mal mehr führen.
    Jean Paul Friedrich Richter (1763–1825), kurz: Jean Paul, war einer, der schon sehr früh für das Wachsenlassen eingetreten ist, ohne einer Nichterziehung das Wort zu reden. Eine seiner Kernaussagen zur Erziehung lautet: «Die elterliche Hand kann den aufkeimenden Kern, nicht aber den aufblühenden Baum bedecken und beschatten.» Noch bekannter ist Jean Pauls Sinnspruch: «Kinder und Uhren dürfen nicht ständig aufgezogen werden, man muss sie auch gehen lassen.»
    Das sind Haltungen, für die man kein Studium der Pädagogik, Psychologie, Soziologie und Neurobiologie hinter sich haben muss. Wer meint, erst nach dem Abschluss dieser Studiengänge richtig erziehen zu können, der versündigt sich an den Müttern und Vätern von zig Generationen, die erzogen haben, ohne dass aus der Welt ein Milliardenheer an Psychopathen und Neurotikern geworden wäre.
    Eltern mögen also ganz pragmatisch mehr auf ihre Intuition und Spontaneität vertrauen. Erziehen ist keine große Kunst, sondern eine tagtägliche Kleinkunst. Dazu gehört eine Portion Gelassenheit, Abgeklärtheit, Besonnenheit und Geduld.
    Der Erziehungstherapeut Wolfgang Bergmann (2012) hat die Eltern mit einem kleinen Buch klipp und klar aufgefordert: «Lasst eure Kinder in Ruhe!» Er rät den Eltern dringend, sie sollten ihre ursprüngliche Freude am Kind wiedergewinnen. Dieser Appell ist sozusagen das Vermächtnis Bergmanns in seinem letzten Interview, das nach seinem Tod im Mai 2011 posthum veröffentlicht wurde.
    Zur Erziehung gehört außerdem ein Verzicht darauf, Dinge ändern zu wollen, die nicht geändert werden können. Das folgende Wort – es ist im Grunde ein Gebet – sollte deshalb zu jedem Leitbild von Erziehung hinzugehören, auch wenn die Herkunft dieses Worts nicht restlos aufgeklärt ist: «Herr, gib mir die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; die Gelassenheit, das Unabänderliche zu ertragen, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.»

Mut zu Autorität und Vorbild
    Gemeinhin werden vier verschiedene Erziehungsstile unterschieden: Beim autoritären Erziehungsstil bestimmen die Erwachsenen klar und streng, was Sache ist. Der permissive Erziehungsstil verfährt großzügig, gewährend, er kennt kaum Regeln. Der Laisser-faire-Erziehungsstil schließlich, soweit man ihn überhaupt als Erziehungsstil bezeichnen will, ist frei von Regeln und Zwängen, aber auch bar aller orientierenden Anhaltspunkte. Beim autoritativen Erziehungsstil geht es um offene Kommunikation und offene Aussprache zwischen Kindern und Eltern über die Bedürfnisse der Beteiligten und über Familienregeln.
    Zwischen diesen vier Polen pendelte Erziehung in Deutschland und in der gesamten westlich geprägten Welt hin und her – in der Familie und in der Schule. Bis in die 1960er Jahre waren Disziplin und Strenge angesagt, dann ging es in Fragen der Erziehung um Verständnis und Permissivität. Heute beginnt in vielen Familien wieder die Kontrollattitüde zu dominieren. In den Schulen nicht, denn hier hat sich unter Teilen der

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