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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Tag ging es hauptsächlich um das Bergsteigen und um technische Fragen – wir diskutierten die Route, tauschten Argumente für und gegen einen Versuch aus, den Gipfel direkt zu erreichen, sobald wir diese Traverse hinter uns hatten und über die Schneehaube am Fuß der Gipfelpyramide hinweg waren. Gary sprach sich dafür aus, auf jeden Fall einen direkten Vorstoß zu versuchen, während Paul zur Vorsicht mahnte und eine Traverse zum häufiger begangenen Abruzzi-Sporn vorschlug. Kanakaredes und ich hörten meist nur zu. Aber am zweiten und dritten Tag stellten wir der Wanze persönliche Fragen.
     
    »Dann kommt ihr also von Aldebaran?«, fragte Paul am zweiten Tag des Sturms. »Wie lange habt ihr für den Flug gebraucht?«
    »Fünfhundert Jahre«, sagte unsere Wanze. Um in ihr Abteil des Zeltes zu passen, hatte sie jedes Anhängsel mindestens zweimal falten müssen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie es bequem hatte.
    Gary pfiff durch die Zähne. Er hatte die Berichterstattung über die Mantispa nicht sehr aufmerksam verfolgt. »Und du bist tatsächlich so alt, K? Fünfhundert Jahre?«
    Kanakaredes stieß ein leises Pfeifen aus, das ich inzwischen für das Gegenstück eines Lachens hielt. »Ich bin erst dreiundzwanzig eurer Jahre alt«, sagte er. »Ich wurde auf dem Schiff geboren, genau wie meine Eltern und deren Eltern und so weiter. Unsere Lebenserwartung entspricht ungefähr der euren. Es war … ich glaube, in eurer Sprache wäre es ein Generationenschiff.« Er hielt inne, als der heulende Wind sich zu einem absurden Höhepunkt an Heftigkeit und Wildheit steigerte. Sobald der Wind etwas nachließ, fuhr er fort. »Ich kannte kein anderes Zuhause außer dem Schiff, bis wir die Erde erreicht haben.«
    Paul und ich wechselten einen Blick. Es war Zeit, dass ich unsere Wanze für Land, Volk und Außenministerin Bright Moon ins Verhör nahm. »Warum seid ihr dann … warum sind die Lauscher … diesen weiten Weg bis zur Erde gereist?«, fragte ich. Die Wanzen hatten diese Frage mehr als einmal öffentlich beantwortet, doch die Antwort war immer die gleiche gewesen, und sie war nicht sonderlich aufschlussreich.
    »Weil ihr hier wart«, sagte die Wanze. Es war die übliche, altbekannte Antwort. Vielleicht war sie sogar ein wenig schmeichelhaft, weil wir Menschen uns immer für das Zentrum des Universums gehalten haben, doch besonders informativ war sie nicht.
    »Aber warum habt ihr Jahrhunderte auf der Reise verbracht, nur um uns zu begegnen?«, fragte Paul.
    »Um euch beim Zuhören zu helfen«, sagte K.
    »Wem sollen wir zuhören?«, fragte ich. »Dir? Den Mantispa? Wir hören gern zu. Wir würden gern etwas lernen. Wir wollen euch zuhören.«
    Kanakaredes schüttelte langsam den massigen Kopf. Als ich den Mantispa von nahem sah, wurde mir bewusst, dass sein Kopf eher an einen Saurier erinnerte – an einen Dinosaurier oder einen Vogel – als an ein Insekt. »Ihr sollt nicht uns zuhören«, klickte und zischte er. »Ihr sollt dem Lied eurer eigenen Welt lauschen.«
    »Wir sollen dem Lied unserer eigenen Welt lauschen?«, fragte Gary fast barsch. »Meinst du damit, dass wir das Leben mehr achten sollen? Dass wir innehalten und den Duft der Rosen riechen sollen? So etwas?« Garys zweite Frau hatte sich mit transzendentaler Meditation beschäftigt. Ich glaube, das war der Grund dafür, dass er sich von ihr scheiden ließ.
    »Nein«, sagte K. »Ich meinte, ihr sollt dem Ton eurer Welt lauschen. Ihr habt eure Meere gespeist. Ihr habt eure Welt geweiht. Aber ihr hört nicht zu.«
    Jetzt war es an mir, die Unklarheiten noch zu vergrößern. »Wir haben unsere Meere gespeist und unsere Welt geweiht«, wiederholte ich. Das ganze Zelt bebte, als eine Bö es erfasste und dann erstarb. »Wie haben wir das denn gemacht?«
    »Indem ihr gestorben seid, Jake«, sagte die Wanze. Es war das erste Mal, dass sie meinen Namen benutzte. »Indem ihr ein Teil der Meere und der Welt geworden seid.«
    »Hat das Sterben denn etwas damit zu tun, das Lied zu hören?«, fragte Paul.
    Kanakaredes’ Augen waren vollkommen rund und pechschwarz, doch sie wirkten nicht bedrohlich, als er uns im Schein einer Taschenlampe ansah. »Du kannst das Lied nicht hören, wenn du tot bist«, pfiff und klickte er. »Aber du kannst das Lied nicht finden, solange deine Spezies nicht über Millionen von Jahren ihre Atome und Moleküle recycelt hat.«
    »Kannst du denn das Lied hier hören?«, fragte ich. »Hier auf der Erde, meine ich.«
    »Nein«, sagte die

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