Helix
Zelt nicht über die Klippe rutschte und den Berg hinunterstürzte. Im schlimmsten Fall würden wir so laut wie möglich »Öffnen!« schreien, die intelligente Zeltplane würde sich zusammenfalten, und dann würden wir in unseren Thermohäuten über den Hang rollen und die Eispickel nehmen, um unsere Rutschpartie zu bremsen. So sah die Theorie aus. Wenn die Plattform sich aber tatsächlich verlagerte oder die Spinnenseide riss, würden wir höchstwahrscheinlich durch die Luft fliegen, ehe wir überhaupt wussten, wie uns geschah.
Als wir im Brüllen des Windes wieder etwas hören konnten, rief Gary: »Wenn wir von dieser Plattform gefegt werden, werde ich eine Serie von Flüchen loslassen, dass der Gletscher da unten vor Scham errötet, ehe wir aufschlagen.«
»Vielleicht ist es das Lied, von dem K sprach«, sagte Paul, ehe er seine Klappe verschloss.
Letzte Anmerkung des Tages: Mantispa schnarchen.
Am Nachmittag des dritten Tages sagte Kanakaredes auf einmal: »Mein Krippenbruder lauscht in diesem Augenblick in der Nähe eures Südpols ebenfalls einem Sturm. Doch er ist … er hat es viel bequemer und sicherer als wir hier im Zelt.«
Ich sah die beiden anderen an, und wir zogen die Augenbrauen hoch.
»Ich wusste nicht, dass du ein Telefon mit auf die Kletterpartie genommen hast«, sagte ich.
»Habe ich auch nicht.«
»Funk?«, fragte Paul.
»Nein.«
»Ein subkutaner intergalaktischer Star Trek- Kommunikator?«, fragte Gary. Sein Sarkasmus ging mir nach drei Tagen im Zelt ebenso auf die Nerven wie seine Angewohnheit, die Konzentratriegel viel zu langsam zu kauen. Ich dachte, wenn er noch einmal zu langsam kaute oder sarkastisch wurde, müsste ich ihn töten.
K stieß einen leisen Pfiff aus. »Nein«, sagte er. »Ich habe die Traditionen eurer Bergsteiger verstanden und kein Kommunikationsmittel auf diese Expedition mitgenommen.«
»Aber woher weißt du dann, dass dein … was war es noch, dein Krippenbruder? Dass er da unten einen Sturm erlebt?«
»Weil er mein Krippenbruder ist«, sagte K. »Wir wurden in der gleichen Stunde geboren. Wir bestehen im Grunde aus dem gleichen genetischen Material.«
»Zwillinge«, staunte ich.
»Dann seid ihr telepathisch?«, fragte Paul.
Kanakaredes schüttelte den Kopf, sein Fühler streifte fast das Zeltdach. »Unsere Wissenschaftler glauben, dass es so etwas wie Telepathie nicht gibt, bei keiner Spezies.«
»Aber wie …«, begann ich.
»Mein Krippenbruder und ich sind für das Lied der Welt und des Universums oft auf der gleichen Frequenz in Resonanz«, erklärte K. Es war einer der längsten Sätze, die ich je von ihm gehört hatte. »So ähnlich wie eineiige Zwillinge bei euch. Wir haben auch oft die gleichen Träume.«
Wanzen träumen. Ich nahm mir vor, dieses Detail später zu notieren.
»Dann weiß dein Krippenbruder auch, wie du dich jetzt fühlst?«, fragte Paul.
»Ich glaube schon.«
»Und wie fühlst du dich?«, fragte Gary, der viel zu langsam auf einem Konzentratriegel kaute.
»Im Augenblick«, sagte Kanakaredes, »habe ich Angst.«
Der scharfe Grat hinter Camp Drei, etwa 23.700 Fuß
Der vierte Tag dämmerte perfekt und klar, und es war absolut windstill.
Wir hatten gepackt und kletterten über die Traverse, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen den Grat erreichten. Es war kalt wie eine Hexentitte.
Ich habe wohl schon erwähnt, dass dieser Teil der Route der technisch anspruchsvollste Abschnitt unserer Besteigung war – jedenfalls bis wir die Gipfelpyramide erreichten –, doch es war auch der schönste und aufregendste. Sie müssten sich Fotos anschauen, um zu erkennen, wie absurd steil dieser Abschnitt des Grates ist, und selbst dann könnten Sie nicht fühlen, wie schutzlos man sich dort vorkommt. Der Nordostgrat stieg in einer Reihe von Schneewechten an, die gekrümmte, messerscharfe Kanten hatten und zu beiden Seiten fast senkrecht abfielen.
Sobald wir auf dem Grat waren, blickten wir zu dem riesigen Eispfeiler zurück, der über unserem zertrampelten Camp Drei am Rand des Grates dräute. Nach den letzten vier stürmischen Tagen mit schweren Schneefällen und heulendem Wind war der Serac gewachsen, er hatte sich verformt und war instabiler denn je. Ohne ein Wort zu sagen, war uns allen klar, dass wir großes Glück gehabt hatten. Selbst Kanakaredes schien froh zu sein, dass er von dort fortkommen konnte.
Nach zweihundert Fuß gingen wir auf der Traverse nach oben und überschritten die Schneide des Messers. Der Grat aus
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