Helix
den Tod stürzte, dann wurde es ein einsamer Sturz. Es war uns egal. Oberhalb der legendären 8000-Meter-Marke zieht man sich in sich selbst zurück und verliert sich mitunter sogar.
Wir hatten keinen Sauerstoff mitgenommen, nicht einmal die leichten Osmosemasken, die im letzten Jahrzehnt vervollkommnet worden waren. Wir hatten eine solche Maske dabei gehabt, aber wir hatten sie oberhalb von Camp Vier beim Ofen gelassen, zusammen mit dem größten Teil der Seile und zusätzlichen Vorräte. Es hatte zu diesem Zeitpunkt wie eine gute Idee ausgesehen.
Jetzt konnte ich nur noch ans Atmen denken. Jede Bewegung und jeder Schritt erforderte mehr Atemluft, als ich hatte, und mehr Sauerstoff, als in meinem Kreislauf vorhanden war. Paul ging es besonders schlecht, aber irgendwie hielt er durch. Gary lief gleichmäßig, doch manchmal musste er innehalten, und manchmal verrieten seine Bewegungen, dass er Kopfschmerzen hatte und verwirrt war. Am Morgen, bevor wir Camp Sechs verlassen hatten, hatte er sich zweimal übergeben. Am Abend waren wir nach nur ein oder zwei Minuten im Halbschlaf wieder aufgefahren – wir hatten nach Luft geschnappt und die Hände auf die Brust gepresst, als läge ein schweres Gewicht auf uns oder als versuchte jemand, uns zu ersticken.
Etwas versuchte tatsächlich, uns hier zu töten. Die ganze Umgebung versuchte es. Wir befanden uns hoch oben in der Todeszone, und dem K2 war es völlig egal, ob wir überlebten oder starben.
Das gute Wetter hatte sich gehalten, doch wir mussten mit starkem Wind und Stürmen rechnen. Es war jetzt Ende August, und wir konnten jeden Tag oder jede Nacht durch einen erbarmungslosen Sturm festgesetzt werden, der uns wochenlang lähmen konnte – keine Chance zu klettern, keine Chance, sich zurückzuziehen. Wir konnten hier oben verhungern. Ich dachte an den roten Panikknopf auf dem Palmlog.
Wir hatten Kanakaredes vom Panikknopf erzählt, als wir in Camp Fünf die Suppe wärmten. Der Mantispa hatte darum gebeten, sich den Palmlog mit dem Notsender ansehen zu dürfen. Dann hatte er den Palmlog aus dem Zelt in die Dunkelheit hinaus in den Abgrund geworfen.
Gary hatte die Wanze einen Moment lang angesehen, dann hatte er gegrinst und die Hand ausgestreckt. K hatte sein Vorderbein ausgeklappt, die Insektengliedmaßen verdreht und mit drei Fingern Garys Hand genommen und geschüttelt.
Ich hatte das für ziemlich cool und heldenhaft gehalten. Jetzt wünschte ich, wir hätten den Panikknopf in Reichweite.
Wir wachten auf, zogen uns an und wärmten um kurz nach 1.30 Uhr am Morgen das Wasser für unsere letzte Mahlzeit auf. Wir konnten sowieso nicht schlafen, und jede zusätzliche Stunde, die wir in der Todeszone verbrachten, vergrößerte nur die Wahrscheinlichkeit, dass man starb oder scheiterte. Doch wir bewegten uns so langsam, dass es uns vorkam, als brauchten wir Stunden, allein um schon die Stiefel anzuziehen, und auch das Anlegen der Steigeisen dauerte eine Ewigkeit. Ungefähr um drei Uhr morgens entfernten wir uns von den Zelten. Wir ließen sie im Camp Sechs zurück. Wenn wir die Gipfelbesteigung überlebten, würden wir hierher zurückkehren.
Es war unglaublich kalt. Selbst die Thermohäute und die intelligenten Anoraks konnten die Temperatur nicht ausgleichen. Wenn Wind geweht hätte, hätten wir nicht weitergehen können.
Wir befanden uns inzwischen in dem Bereich, den man als Zieleinlauf bezeichnen könnte – das letzte Stück vor dem Gipfel. Der Ausweichplan, falls der direkte Weg zum Gipfel nicht möglich war, hätte darin bestanden, über die Flanke des K2 mit einer Traverse zur ältesten Route über den Abruzzi-Sporn zu wechseln.
Jetzt aber, am frühen Nachmittag des Tages, an dem wir den Gipfel erreichen wollten, scheint der direkte Vorstoß unmöglich, und auch die Traverse zum Abruzzi-Sporn kommt nicht infrage. Auf der Flanke des K2 liegt der Schnee so hoch, dass keine Aussicht besteht, zum Abruzzi-Sporn zu gelangen. Mehrmals in der Stunde gehen dort an der Flanke Lawinen nieder. Über uns liegt der Schnee sogar noch höher. Wir sind im Arsch.
Dabei hatte der Tag so gut begonnen. Über dem Sims, den wir ins Eis gehauen hatten, um Camp Sechs aufzuschlagen, erstreckte sich die fast senkrechte Seitenwand der Schneekuppel. Ein riesiges Schneefeld, das hinauf bis zum schwarzen, mit Sternen übersäten Himmel zu reichen schien. Der letzte Teil war eine unüberwindliche Wand. Wir kletterten mit quälend langsamen Bewegungen das Schneefeld hinauf, hinterließen
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