Helix
darüber, für die Filmindustrie oder fürs Fernsehen zu schreiben, sondern nur darüber, als Autoren zu arbeiten. Darüber, als Autor leben zu können. Dafür bezahlt zu werden, Sachen zu erfinden, die von anderen Menschen gelesen werden, ganz zu schweigen davon, dass Schreiner Kulissen bauen, Schauspieler Texte lernen und Maskenbildner die Schauspieler schminken, damit die Bilder, die man sich in der Phantasie oder in Träumen vorgestellt hat, möglichst gut umgesetzt werden. Wir wussten beide, dass wir aus unserer Kindheit das mitgenommen hatten, was wir am meisten liebten – unsere Ängste und Interessen zu erforschen, indem wir Geschichten erzählten, Spiele spielten und die anderen Kinder dazu anregten, unsere Geschichten und Charaktere als Vorlage zu nehmen und im Wald nachzuspielen –, und jetzt wurden wir sogar dafür bezahlt, dass wir genau das taten, was wir als Kinder am liebsten getan hatten. Es ist der schönste Job der Welt.
Ich vermute, William Shakespeare – dem Vernehmen nach ein ernsthafter, ehrgeiziger Mann und keineswegs nur ein Partygänger, wenn man Ben Johnson glauben kann – hatte ebenfalls solche Momente, in denen er nicht anders konnte, als leise in sich hineinzugrinsen, weil sie (Königin Elizabeth, James L, die Gönner, die Zuschauer und die Schauspieler) ihn einfach machen ließen, wie es ihm beliebte.
Der Yale-Professor und Kritiker Harold Bloom war in den letzten Jahren mein literarischer Mentor. Er war mein Vergil, der mich durch das prachtvolle Gewirr Shakespeares und der westlichen Literatur begleitet hat, und er zeigte mir den Weg durch die konzentrischen Kreise der Verwirrung, die dieses Zeitalter des Hasses – in der Politik und in der akademischen Welt – hinterlassen hat. Aber auch das wird vorübergehen, dieses Zeitalter der semiotischen, dekonstruktivistischen Angriffe auf die Erzählung und den Erzähler, dieses Zeitalter neohistorizistischer Schmähungen und des postmarxistischen Vandalismus …
Kehren wir zurück zur einsamen Stimme von Harold Bloom, zur Kritik des Romantizismus bei Harold Goddard und A.C. Bradley, zurück zur immer angenehmen Stimme von William Hazlitt, und wir erkennen, dass sogar Shakespeare seine Lieblinge hatte. Shakespeare – der Meister dessen, was John Keats als »negative Befähigung« bezeichnet hat – wird uns nie verraten, was er wirklich über Politik, über Religion, das Königshaus, den Wahnsinn, die Liebe und die Verzweiflung gedacht hat, doch seine Figuren erfassen die heftigsten wie die subtilsten Facetten aller menschlichen Emotionen. (Ich stimme hier mit Blooms Ansicht überein, dass Shakespeare das moderne Konzept der Persönlichkeit gleichsam erfunden hat.) Und einige seiner Figuren bergen sicher mehr von jener schöpferischen Einzigartigkeit, die William Shakespeare ausgemacht hat, als andere.
Falstaff verkörpert nicht die Vitalität, er ist die Vitalität. Hamlet reflektiert nicht die Tiefen der menschlichen Persönlichkeit, sondern er definiert die menschliche Persönlichkeit neu. Jago spielt nicht nur den Schurken, sondern er ist teuflischer als Satan in seiner bösartigen Kreativität. Rosalind benutzt nicht einfach nur ihren Verstand, sondern sie setzt für den fröhlich genutzten Verstand neue Maßstäbe. König Lear begegnet nicht dem Nihilismus, sondern er stürzt in ein schwarzes Loch und zieht uns mit sich hinab.
Ich habe die Absicht, die Jahrzehnte oder Jahre, die mir bleiben, damit zu verbringen, Shakespeare noch einmal zu lesen und neu für mich zu entdecken (und dazu eine freilich sehr begrenzte Anzahl anderer Autoren, die ich besonders mag), aber die traurige Wahrheit kenne ich schon jetzt. Es ist so, wie ein Wissenschaftler die Quantenphysik und wie ein anderer Wissenschaftler die Wechselwirkungen in der Ökologie beschrieben hat: »Es ist nicht komplizierter, als wir es uns vorstellen, es ist komplizierter, als wir es uns vorstellen können. «
Wir wissen nicht sehr viel über den Mann, der William Shakespeare genannt wurde, und wir werden auch nicht viel über ihn erfahren, wenn wir in seinen Figuren nach ihm suchen. War er voller Hemmungen wie Hamlet? War er ehrgeizig wie Macbeth? So klug wie Rosalind? So antisemitisch, wie seine Darstellung des Shylock uns vermuten lässt? Dachte er so verächtlich über die Vorstellung einer erlösenden Liebe, wie es viele seiner Stücke nahelegen? Oder war er angesichts der zerstörerischen Kräfte einer entfesselten Liebe so ehrfürchtig, wie viele andere
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