Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
von der Sonne erhitzten Erde, die Kiefernnadeln unter den Füßen. Ich spüre heute noch wie damals an diesem Herbstnachmittag die Wärme der Sonne im Gesicht und auf den Händen und auf den Beinen meiner Jeans. Ich erinnere mich an die Geräusche dieser wenigen Minuten so lebhaft wie an alles andere: an das leise Plätschern des Wassers, das über den aus Steinen und Schlamm gebauten Biberdamm lief, das Rascheln der trockenen Clematisranken, das spröde Knistern der hohen Enzianstiele im Wind, das ferne Hämmern eines Spechts im Wald zum Mount Meeker hin. Und dann, so abrupt, dass ich den Atem anhielt, das laute Rauschen von Flügeln, als ein Schwarm Kanadagänse niedrig über dem Wasser dahinstrich und nach Süden schwenkte, zum Highway und zu den größeren Teichen, die es dort gab. Ich glaube, in diesem Augenblick öffnete niemand aus der Gruppe die Augen, nicht einmal, als die Gänse niedrig über uns hinwegflogen, um den Zauber des Augenblicks nicht zu zerstören. Es war eine neue Welt, und Kelly Dahl war – unerklärlicherweise, aber unstrittig – unsere Führerin.
    Bis gestern hatte ich diesen Moment völlig vergessen.
     
    Am Morgen, nachdem sie mich gefesselt hatte, zerschoss Kelly Dahl meinen Jeep.
    Ich hatte bis Sonnenaufgang gewartet, um den Rückweg nach Boulder zu suchen. In der Nacht war es zu dunkel, der Wald war zu dicht, und meine Kopfschmerzen waren zu stark, um den Berg hinunterzufahren. Und außerdem, hatte ich mit einem ironischen Lächeln gedacht, außerdem könnte ich ja aus Versehen in einen Bergwerksschacht stürzen.
    Am Morgen tat mein Kopf immer noch weh, und der Wald war immer noch dicht – nirgends Reifenspuren, keine Hinweise, wie Kelly meinen Wagen hierherbekommen hatte –, doch ich konnte wenigstens sehen, wohin ich fuhr. Der Jeep hatte eine Menge Kratzer, ein Kotflügel war verbeult, die Farbe blätterte ab, und an der rechten Tür war eine lange Schramme, aber das waren alles alte Wunden. Keine Spur davon, dass der Wagen dreihundert Fuß tief in einen Schacht gestürzt war. Der Schlüssel steckte. Die Brieftasche war in meiner Gesäßtasche. Die Campingausrüstung lag hinten im Fond. Kelly Dahl war so verrückt, wie man nur sein konnte, aber eine Diebin war sie nicht.
    Ich hatte eine Stunde gebraucht, um am vergangenen Abend bis zum Schacht zu gelangen. Ich brauchte fast drei, um wieder nach Boulder zurückzukommen. Ich befand mich ein großes Stück jenseits des Sugarloaf Mountain und des Gold Hill, nordöstlich von Jamestown und fast am Peak to Peak Highway. Ich hatte keine Ahnung, warum Kelly Dahl mich so weit verschleppt hatte – es sei denn, das ganze Erlebnis mit dem Schacht war eine Halluzination gewesen, und sie hatte mich anderswo aufgelesen. Aber das konnte nicht sein. Ich stellte die Lösung dieses Rätsels zurück, bis ich wieder zu Hause war, geduscht hatte, ein Aspirin und drei Fingerbreit Scotch zu mir genommen und gewissermaßen den Tag richtig begonnen hatte.
    Schon lange, bevor ich Boulder erreichte, hätte mir eigentlich auffallen müssen, dass meine ganze Welt im Eimer war. Spätestens, als ich im Left Hand Canyon aus dem Wald kam und die nach Osten führende befestigte Straße erreichte, hätte ich bemerken müssen, dass etwas nicht stimmte. Jetzt ist mir klar, dass ich auf geflicktem Beton und nicht auf Asphalt gefahren bin. Auch das Greenbriar Restaurant am Ende des Left Hand Canyon, wo die Straße in den Highway 36 mündet, kam mir seltsam vor. Im Rückblick weiß ich, dass der Parkplatz kleiner war, die Eingangstür hatte eine andere Farbe, und dort, wo seit Jahren ein Blumengarten gewesen war, stand eine Pappel. Ich hätte weitere Details bemerken können – die Böschung neben dem Highway 36 war zu schmal, die Beechcraft-Niederlassung in den Vorbergen neben der Straße wirkte geschäftig und war geöffnet, obwohl sie schon seit einem Jahrzehnt nicht mehr in Betrieb war. Doch ich pflegte meine Kopfschmerzen, dachte über Kelly Dahl und meinen Selbstmord nach und ignorierte alles andere.
    Es gab keinen Verkehr. Kein einziges Auto, kein Fahrrad. Ungewöhnlich, da sonst das ganze Jahr über an jedem halbwegs schönen Tag die mit Spandex bekleideten Fanatiker über den Foothills Highway radelten. An diesem Morgen war nichts von ihnen zu sehen. Erst als ich in Boulder auf dem North Broadway fuhr, fiel mir auf, wie eigenartig das alles war.
    Mein Gott, dachte ich, vielleicht hat es einen Atomkrieg gegeben … und alle wurden evakuiert. Dann erinnerte ich

Weitere Kostenlose Bücher