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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Illusionen machte. Irgendwie hatten sich die Dinge verändert. An die Möglichkeit, dass ich tot war oder dass es so etwas wie das verlorene Jahr in der Serie Dallas sein könnte und dass ich mit Maria unter der Dusche wieder zu mir kommen würde, während Allan im Wohnzimmer spielte, immer noch als Lehrer im Amt und mit einem soliden Leben vor mir – an diese Möglichkeit wollte ich gar nicht erst denken. Nein, das hier war real, sowohl mein verpfuschtes Leben als auch dieser seltsame … dieser seltsame Ort. Klar, es war Boulder, aber es war Boulder, wie es vor zweieinhalb Jahrzehnten gewesen war. Ich war schockiert, wie klein und provinziell die Stadt wirkte.
    Und leer war sie. Einige große Raubvögel kreisten über den Flatirons, doch in der Stadt war es totenstill. Ich hörte nicht einmal fernen Verkehrslärm oder Düsenflugzeuge. Erst in diesem Augenblick, als die Geräusche fehlten, wurde mir klar, wie selbstverständlich sie für einen Stadtmenschen wie mich waren.
    Ich fragte mich, ob es irgendeine dämliche zufällige Verwerfung im Raum-Zeit-Kontinuum war, eine Fehlfunktion im Chronosynchrometahyperdings, aber ich glaubte nicht recht daran. Ich nahm an, dass es irgendwie mit Kelly Dahl zu tun hatte. So weit waren meine Spekulationen gediehen, als ich die erste Hälfte der ersten Flasche Johnnie Walker intus hatte.
    Dann klingelte das Telefon.
    Es war ein altmodisches Münztelefon, zwanzig Schritt neben dem Schnapsladen. Sogar das verdammte Telefon war verändert: Auf der halb offenen Zelle stand Bell Telephone und nicht US West oder der Schriftzug einer Konkurrenzfirma. Das alte Symbol von Bell war ins Metall eingraviert. Ich bekam richtig Heimweh.
    Ich ließ das Ding zwölfmal klingeln, bevor ich die Flasche auf die Motorhaube des Jeeps stellte und langsam hinüberging. Vielleicht war es Gott, der mir erklären wollte, dass ich tot, aber nur für die Vorhölle qualifiziert sei, da weder Himmel noch Hölle mich haben wollten.
    »Hallo?« Meine Stimme klang vermutlich etwas komisch. Mir selbst kam es jedenfalls so vor.
    »Hi, Mr. Jakes.« Es war natürlich Kelly Dahl. Mit Gott hatte ich sowieso nicht gerechnet, wenn ich ganz ehrlich bin.
    »Was gibt’s, Mädchen?«
    »Eine Menge nette Sachen«, antwortete die helle, leise Stimme. »Sind Sie überhaupt bereit für das Spiel?«
    Ich sah zur Flasche hinüber und wünschte, ich hätte sie mitgebracht. »Was für ein Spiel?«
    »Sie müssen mich jagen.«
    Ich legte den Hörer weg, ging zum Jeep, trank einen Schluck und kehrte langsam zum Telefon zurück. »Bist du noch da, Mädchen?«
    »Klar.«
    »Ich will nicht spielen. Ich will dich nicht jagen oder töten oder dir sonst etwas tun. Comprende?«
    »Oui.« Auch das war ein Spiel aus dem sechsten Schuljahr, fiel mir jetzt wieder ein. Wir begannen Sätze in einer Sprache, wechselten in eine andere und beendeten sie in einer dritten. Ich hatte sie nie gefragt, wo ein elfjähriges Kind die Grundlagen von einem halben Dutzend Sprachen gelernt hatte.
    »Okay«, sagte ich. »Ich gehe jetzt. Du passt auf dich auf, Mädchen. Und halte dich, verdammt noch mal, von mir fern. Ciao.« Ich knallte den Hörer auf die Gabel und sah den Apparat mindestens zwei Minuten lang müde an. Es klingelte nicht noch einmal.
    Ich verstaute die zweite Flasche auf dem Boden, damit sie nicht zerbrach, und fuhr auf der 28 th Street nach Norden, bis ich die Diagonal erreichte, den vierspurigen Highway, der nach Nordosten bis Longmont und weiter bis zu den längs der Front Range aufgereihten Orten führt. Als Erstes bemerkte ich, dass die Diagonal innerhalb von Boulder nur noch zweispurig war. Wann war die Straße erweitert worden? Irgendwann in den Achtzigerjahren … Als Zweites bemerkte ich, dass sie eine Viertelmeile außerhalb der Stadt aufhörte. Im Nordosten war nichts. Kein Highway, keine Farmen, keine Felder, keine Fabrik von Celestial Seasons, keine Fabrik von IBM, keine Eisenbahnstrecke. Nicht einmal die Gebäude, die Anfang der Siebzigerjahre schon hätten dort sein müssen. Was ich vorfand, war ein riesiger Spalt in der Erde, mindestens zwanzig Fuß tief und dreißig Fuß breit. Es sah aus, als hätte ein Erdbeben den Highway aufgerissen und Boulder von der Prärie und dem Wüstenbeifuß und dem niedrigen Gras dahinter abgeschnitten. Der Riss erstreckte sich von Nordwesten nach Südosten, so weit das Auge reichte, und es war unmöglich, den Jeep ohne stundenlange Arbeit auf die andere Seite zu bekommen.
    »Na gut«, sagte ich

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