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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Frau – aber ich konnte nur hilflos die Hände zu Fäusten ballen. »Kelly, ich wusste nicht …«
    Sie hörte nicht zu, sah mich nicht an. »Da habe ich gelernt, innerlich wegzugehen. Die anderen Orte zu finden.«
    »Andere Orte?«
    Kelly Dahl starrte ins Leere. Ihr Irokesenschnitt und das gesträhnte Haar wirkten erbärmlich im grauen, kalten Licht. »Ich bin sehr gut darin geworden, zu den anderen Orten zu gehen. Die Dinge, die Sie uns gelehrt haben, haben mir geholfen. Ich konnte es sehen, Sie haben es uns so deutlich gezeigt … Die Orte, die Sie uns gezeigt haben, konnte ich besuchen.«
    Ich zitterte in der Kälte. Das Kind brauchte psychiatrische Hilfe. Mir fiel ein, wie oft ich Schüler an Berater in der Schule oder an die Bezirkspsychologen und die Sozialdienste des County verwiesen hatte, und stets war wenig bis nichts passiert, die Kinder waren in den Albtraum zurückgekehrt, aus dem sie vorübergehend befreit worden waren.
    »Kelly, können wir nicht …«
    »Ich hätte es Ihnen beinahe gesagt.« Ihre Lippen waren schmal und bleich. »Im April habe ich eine ganze Woche lang versucht, genug Mut zu fassen, um es Ihnen zu sagen.« Sie gab ein kleines Geräusch von sich, das ich als Lachen erkannte. »Teufel, ich hatte das ganze Jahr schon versucht, genug Mut zu fassen. Ich dachte mir, Sie seien vielleicht der Einzige auf der Welt, der zuhören würde … mir glauben würde … der etwas tun würde.«
    Ich wartete darauf, dass sie fortfuhr. Einen Block weiter war in der Sporthalle Beifall zu hören.
    Jetzt sah Kelly Dahl mich an. Etwas Wildes war in ihren grünen Augen. »Erinnern Sie sich noch, wie ich Sie an jenem Tag gefragt habe, ob ich nach der Schule bleiben und mit Ihnen reden könne?«
    Ich runzelte die Stirn, musste schließlich den Kopf schütteln. Ich konnte mich nicht erinnern.
    Sie lächelte wieder. »Am gleichen Tag haben Sie uns gesagt, dass Sie gehen. Sie wollten als Lehrer zur Highschool wechseln, dort werde jemand gebraucht, weil Mrs. Webb gestorben sei. Sie sagten, ein anderer Lehrer werde uns vertretungsweise für den Rest des Jahres übernehmen. Ich glaube, Sie haben wohl nicht damit gerechnet, dass die Klasse sich so aufregt, wie es dann passiert ist. Ich erinnere mich, dass die meisten Mädchen geweint haben. Ich habe nicht geweint.«
    »Kelly, ich …«
    »Sie erinnern sich nicht, dass ich sagte, ich wollte Sie nach der Schule sprechen.« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Aber das war schon in Ordnung, denn ich wollte sowieso nicht bleiben. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, aber ich habe nicht zu den Kindern gehört, die Sie umarmt haben, als wir am nächsten Freitag zu Ihrem Abschied eine Überraschungsparty veranstaltet haben.«
    Wir sahen einander einen Augenblick schweigend an. Aus der Sporthalle war nichts zu hören. »Wohin willst du jetzt, Kelly?«
    Sie sah mich so grimmig an, dass ich einen Augenblick Angst bekam – ich bin nur nicht sicher, ob um sie oder um mich selbst. »Weg«, sagte sie. »Weg.«
    »Komm doch am Montag in die Schule, dann können wir reden.« Wieder ging ich einen Schritt auf sie zu. »Du musst nicht ins Klassenzimmer kommen. Schau einfach im Büro vorbei, dann können wir reden. Bitte.« Ich hob die Hände, berührte sie aber nicht.
    »Auf Wiedersehen, Mr. Jakes.« Sie drehte sich um, ging über die Straße und verschwand in der Dunkelheit.
    Ich dachte daran, ihr zu folgen, aber ich war müde, ich hatte Allan versprochen, am nächsten Morgen nach Denver zu fahren und Baseballkarten zu kaufen, und wann immer ich von einer Schulveranstaltung spät nach Hause kam, war Maria sicher, dass ich mit einer anderen Frau zusammen gewesen war.
    Ich dachte an diesem Abend daran, Kelly Dahl zu folgen, doch ich tat es nicht.
    Am Montag kam sie nicht. Am Dienstag rief ich bei ihr zu Hause an, aber niemand hob ab. Am Mittwoch unterrichtete ich Mr. Van der Mere über die Begegnung mit ihr, und eine Woche später suchte der Sozialdienst den Wohnwagenpark auf. Der Wohnwagen war verlassen. Kellys Mutter und ihr Freund waren schon einen Monat, bevor das Mädchen die Schulbesuche eingestellt hatte, verschwunden. Seit dem Wochenende, an dem das Basketballspiel stattfand, hatte niemand mehr Kelly Dahl gesehen.
    Einen Monat später, als sich herumsprach, dass Kelly Dahls Mutter in North Platte, Nebraska, ermordet aufgefunden worden und dass Carl Reems, ihr Freund, das Verbrechen nach seiner Verhaftung in Omaha gestanden hatte, glaubten die meisten Lehrer, auch Kelly

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