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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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uns auch gegenseitig, doch die Zeit ist in diesem Augenblick keine Gerade mehr, deshalb ist es genauso möglich, dass wir uns gar nicht küssen. Klar ist – und es wird mir bis zum letzten Moment meines Lebens klar bleiben –, dass ich in dieser letzten Sekunde, bevor die Sekunden nicht mehr aufeinanderfolgen, meine Arme bewege, um ihr Gewicht von ihren Ellenbogen zu nehmen, und Kelly Dahl entspannt sich auf mir mit einem Laut, der vielleicht ein Seufzen ist. Ihr warmes Gesicht ist dicht vor meinem warmen Gesicht, eine geteilte Wärme, die viel intimer ist als jeder Kuss. Sie liegt der Länge nach auf mir, und dann, unerklärlicherweise, kommt sie noch weiter herab, kommt näher, Haut liegt auf Haut und Körper liegt an Körper, aber es ist noch mehr als das, sie dringt in mich ein, und ich dringe in sie ein auf eine Weise, die über das Sexuelle hinausgeht. Sie gleitet in mich, wie ein Geist durch einen festen Körper wehen kann, langsam und sinnlich, aber ohne bewusstes Bemühen, sie verschmilzt und zerschmilzt mit mir und in mir, ihr Körper ist noch spürbar, immer noch fassbar, aber sie geht durch mich hindurch, als seien unsere Atome die Sterne in kollidierenden Galaxien, wir durchdringen einander ohne Kontakt, und doch wird die Schwerkraft danach für ewig verändert sein.
    Ich erinnere mich nicht, was wir besprochen haben. Ich erinnere mich nur an dreimaliges Seufzen – Kelly Dahls, meines und das des Windes, der die letzten Funken des Feuers verweht, das irgendwie, während die Zeit stehengeblieben war, bis auf die Glut niedergebrannt ist.

4
PALINODIE
     
    Beim Erwachen – allein – wusste ich sofort, dass sich alles verändert hatte. Das Licht war anders, die Luft. Ich selbst fühlte mich anders. Mehr mit meinen Sinnen verbunden als seit Jahren, als sei zwischen mir und der Welt eine Barriere gefallen.
    Auch die Welt war anders. Ich spürte es sofort. Realer war sie. Dauerhafter. Ich fühlte mich erfüllter, aber die Welt fühlte sich leerer an.
    Mein Jeep stand auf dem Campingplatz. Das Zelt befand sich dort, wo ich es zurückgelassen hatte. Es gab noch andere Zelte, andere Fahrzeuge. Andere Menschen. Ein Paar in mittleren Jahren frühstückte. Sie saßen vor ihrem Winnebago und winkten freundlich, als ich vorüberging. Ich schaffte es nicht, den Gruß zu erwidern.
    Der Ranger, der hier die Aufsicht führte, kam zu mir geschlendert, als ich das Zelt hinten auf den Jeep lud.
    »Ich habe Sie gestern Abend gar nicht kommen sehen«, sagte er. »Anscheinend haben Sie noch keine Karte. Das macht dann sieben Dollar. Es sei denn, Sie wollen noch einen Tag bleiben. Dann sind es noch einmal sieben Dollar. Der Aufenthalt hier ist auf drei Nächte begrenzt. Wir haben in diesem Sommer großen Andrang.«
    Ich wollte etwas sagen, konnte nicht und stellte ein wenig überrascht fest, dass noch Geld in meiner Börse war. Ich gab dem Ranger eine Zehndollarnote, und er zählte das Wechselgeld ab.
    Als er schon fast fort war, rief ich ihm nach: »Welchen Monat haben wir eigentlich?«
    Er hielt inne und lächelte. »Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war Juli.«
    Ich nickte zum Dank. Weitere Erklärungen waren nicht nötig.
     
    In meiner Wohnung duschte ich und zog mich um. Alles war noch genauso, wie ich es am Vorabend verlassen hatte. Im Küchenschrank standen vier Flaschen Scotch. Ich stellte sie auf die Arbeitsplatte und wollte sie in den Ausguss kippen, doch dann wurde mir klar, dass das nicht nötig war. Ich hatte nicht das Verlangen, etwas zu trinken. Ich stellte sie zurück.
    Zuerst fuhr ich zu der Grundschule, an der ich vor Jahren unterrichtet hatte. Die Lehrer und Schüler hatten Sommerferien, aber einige Verwaltungsangestellte waren da, um den Sommer über das Einwandererprogramm zu betreuen. Der Schulleiter war neu, doch Mrs. Collins, die Sekretärin, kannte mich noch.
    »Mr. Jakes«, sagte sie. »Ich hätte sie mit diesem Bart fast nicht erkannt, aber er steht Ihnen. Und Sie haben abgenommen und sind so braun. Waren Sie in Urlaub?«
    Ich grinste sie an. »Gewissermaßen.«
    Die Akten waren noch da. Ich hatte schon befürchtet, sie seien ans Bezirksamt überstellt worden oder hätten die Kinder auf dem Weg durch die Junior High und die Highschool begleitet, doch man hatte wichtige Daten kopiert, und ab dem siebten Schuljahr wurde eine neue Akte angelegt.
    Die Akten aller Schüler aus jenem letzten Schuljahr waren in einer Kiste im Keller verstaut. Aus schimmelnden Aktendeckeln starrten mir die Fotos

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