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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Mensch in unserem Universum ist. Als ich näher heran bin – die letzten zwanzig Meter bewege ich mich lautlos durch die Büsche bis zur Lichtung –, sehe ich, dass es tatsächlich Kelly Dahl ist. Sie sitzt im Lichtkreis der Flammen, betrachtet die Mundharmonika in ihrer Hand und ist anscheinend tief in Gedanken versunken.
    Ich warte mehrere Minuten, weil ich mit einer Falle rechne. Sie ist in das Spiel des Feuers auf dem Chrom vertieft, ihr Gesicht hat einen leichten Sonnenbrand. Sie trägt die gleichen Wanderstiefel, die Shorts und das dicke Sweatshirt, mit denen ich sie drei Tage zuvor, kurz nach dem Besuch auf dem Mont Saint Michel, gesehen hatte. Ihr Jagdbogen, ein mächtiges Gerät aus hochmodernem Kompositmaterial, liegt gespannt und griffbereit vor dem umgestürzten Baumstamm, auf dem sie sitzt.
    Vielleicht mache ich ein Geräusch. Vielleicht spürt sie auf einmal meine Gegenwart. Was auch immer der Grund ist, sie blickt auf – erschrocken, wie ich finde – und dreht den Kopf in Richtung der dunklen Bäume, zwischen denen ich mich verstecke.
    Ich treffe die Entscheidung binnen einer einzigen Sekunde. Zwei Sekunden später renne ich über die dunkle Fläche, die uns trennt. Ich bin sicher, dass sie noch genug Zeit hat, den Bogen zu heben, den Pfeil einzulegen und ihn auf mein Herz abzufeuern. Aber sie dreht sich erst im letzten Moment zu ihrem Bogen um, als ich mich schon auf sie stürze. Die letzten drei Meter springe ich, werfe sie um und stoße sie zur Seite. Der Bogen und die tödlichen Pfeile fliegen in die Dunkelheit, und Kelly und ich wälzen uns neben dem Feuer.
    Ich bin wohl immer noch stärker als sie, aber sie ist schneller und viel beweglicher. Ich glaube allerdings, wenn ich rasch genug handle, wird das keine Rolle spielen.
    Wir rollen zweimal herum, dann bin ich über ihr, schlage ihre Hände weg und ziehe das Kabar-Messer aus der Scheide. Sie zieht ein Bein an, aber ich nagle es mit meinem Bein fest, rücke das andere Knie heran und klemme ihre Beine mit den Schenkeln unter mir ein. Ihre Hände kratzen über meinen Pullover, die Nägel hacken nach meinem Gesicht, doch ich benutze den linken Arm und das Gewicht meines Oberkörpers, um ihre Arme zwischen uns einzuklemmen. Ich beuge mich vor und halte ihr das Messer an die Kehle.
    Eine Sekunde, als der gehärtete Stahl das pochende Fleisch ihres Halses berührt, gibt es keine weitere Bewegung mehr, nur mein Gewicht auf ihr und die Erinnerung an das wilde Gerangel zwischen uns. Wir keuchen beide. Der Wind treibt Funken aus dem Feuer und weht Espenblätter aus der Dunkelheit heran. Kelly Dahls grüne Augen sind offen, taxierend, überrascht, aber ohne Angst. Sie wartet. Unsere Gesichter sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.
    Ich bewege das Messer ein wenig, bis die Schneide nicht mehr auf ihre Kehle zielt, beuge mich vor und küsse sie sanft auf die Wange. Dann lehne ich mich zurück, damit ich wieder ihre grünen Augen sehen kann, und flüstere: »Es tut mir leid, Kelly.« Ich rolle von ihr herunter, mein rechter Arm prallt gegen den Baumstamm, auf dem sie gesessen hat.
    Eine Sekunde später stürzt sich Kelly Dahl auf mich, springt mich von der Seite mit einer fließenden Bewegung an, die ich mir immer, obwohl ich es nie gesehen habe, wie den Angriff eines Panthers vorgestellt habe. Sie setzt sich rittlings auf meine Brust, presst mir einen kräftigen Unterarm auf den Hals, knallt mit der anderen Hand mein Handgelenk gegen den Stamm und fängt das Messer auf, das mir entgleitet. Dann schwebt die Klinge an meinem eigenen Hals. Ich kann das Kinn nicht weit genug herunternehmen, um sie zu sehen, aber ich spüre sie, spüre die skalpellscharfe Klinge, die in meine Haut gedrückt wird. Ich sehe Kelly in die Augen.
    »Du hast mich gefunden«, sagt sie und zieht die Klinge mit einer präzisen Bewegung quer über meinen Hals.
    Ich rechne damit, dass das Blut aus der geöffneten Halsschlagader spritzt, doch ich spüre nur ein leichtes Brennen wie bei einer scharfen Rasur. Das Brennen und den Hauch der kalten Luft auf meinem unversehrten Hals. Ich schlucke schwer.
    Kelly Dahl wirft das Kabar zur dunklen Seite hinüber, wo auch der Bogen gelandet ist, zieht mir mit kräftigen Händen die Handgelenke über den Kopf, stemmt links und rechts neben mir ihre Ellenbogen auf. »Du hast mich gefunden«, flüstert sie. Ihr Gesicht nähert sich meinem.
    Was dann passiert, ist nicht ganz klar. Es ist möglich, dass sie mich küsst, vielleicht küssen wir

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