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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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»Oates?«, rief sie. »Oates?«
     
    Trotz der sommerlichen Hitze und der Luftfeuchtigkeit – Mantua war von Seen und Kanälen umgeben – mochten manche der Altmenschen die Stadt und versammelten sich gelegentlich dort. Vierzehn Tage vor dem letzten Fax speisten Pinchas, Petra und vier ihrer Freunde in der warmen Luft auf der Piazza Erbe. Auf der weißen Tischdecke standen agnoli, tortelli di zucca, insalata di cappone, risotto und costoletta d’agnello al timo. Sie hatten die Froschschenkelsuppe schon genossen und bedienten sich jetzt großzügig aus den Flaschen mit frischem, perlendem Lambrusco. Es war etwa elf Uhr abends, und die Tageshitze war schon fast aus dem Pflaster gewichen. Eine kühle Brise ließ die Leinenmarkise über ihnen flattern. Der Halbmond stand hoch am Himmel, gelegentlich schob sich der P-Ring davor. Tauben gurrten auf den Türmen in der Nähe.
    Graf beugte sich über das Pergament. Er war ein dunkelhäutiger Mann mit sauber getrimmtem Bart. Einer der wenigen Altmenschen, die sich Haare im Gesicht erlaubten. Wenn er die Stirn runzelte, wie er es jetzt gerade tat, ähnelte er den längst verstorbenen Gonzagas, deren Abbilder auf den Fresken des nicht weit entfernten Palasts zu sehen waren.
    »Können Sie es lesen?«, fragte Petra.
    »Natürlich kann ich es lesen«, sagte Graf. »Das Verstehen bereitet mir allerdings Probleme.«
    »Wir waren uns ziemlich sicher, dass es im Prärubikon-Englisch geschrieben ist«, meinte Pinchas.
    Graf kratzte sich am Bart und nickte. »Der größte Teil, ja.«
    »Um Himmels willen«, sagte Hannah, Grafs derzeitige Partnerin, »so lies es doch vor.«
    Graf zuckte mit den Achseln. »Es ist eigentlich eher eine Liste als eine Botschaft.« Dann las er laut:
     
    1. Voynix = Voynich Ms.?
    2. N faxen nicht. Faxgeräte im 20. Jahrh. arbeiteten mit Orig.
    3. Moira? Atlantis?
    4. Juden. Rubikon. Tel Aviv.
    5. Wir sind verdammte Eloi.
    6. Kaddosh. Hamm esh-Sharif.
    7. Itbah al-Yahud.
     
    »Ich geb’s auf«, sagte Stephen, der mit seinem Partner Frome von Helsinki herübergefaxt war. »Im Rätsellösen war ich noch nie sehr gut. Was hat das alles zu bedeuten?«
    Graf zuckte mit den Achseln.
    »›Wir sind verdammte Eloi‹«, zitierte Hannah. »Warum sollten wir verdammt sein?«
    »Ganz zu schweigen davon, was Eloi sind«, warf Pinchas ein.
    Das konnte Graf beantworten. Er erzählte ihnen von H.G. Wells’ Roman über eine Zeitreise.
    »Schön«, sagte Frome. »Wie man es auch deuten will, Savis Satz ist für uns nicht gerade schmeichelhaft. Vielleicht will sie damit aber auch nur ausdrücken, dass ihre Geliebten für ihren Geschmack zu sanftmütig waren.«
    Pinchas und Petra wechselten einen Blick. Sogar Graf blinzelte verdutzt und schaute vom Pergament auf.
    Frome, der die Reaktionen nicht bemerkt hatte, fuhr fort: »Und wenn wir alle Eloi sind, wer sind dann die Morlocks? Die Nachmenschen?«
    Petra musste lächeln. »In den letzten paar Jahrhunderten habe ich nichts davon gehört, dass die Nachmenschen einen von uns gegessen hätten.«
    »Außerdem sind die Nachmenschen Vegetarier«, sagte Graf.
    »Was heißt wohl ›Voynich Ms.‹?«, fragte Pinchas.
    Einige Augenblicke herrschte Schweigen am Tisch. Schließlich sagte Graf: »Ich werde es überprüfen.« Er hob die Hand, doch Petra legte ihm die zierlichen Finger aufs Handgelenk und hielt ihn zurück.
    »Ich glaube, wir sollten keine Funktionen aufrufen, die mit Savis Notizen zu tun haben, solange es nicht wirklich unvermeidlich ist«, meinte sie leise. Sie sah sich um und vergewisserte sich, dass kein Servitor oder Voynix in der Nähe war und sie belauschen konnte. »Gibt es eine andere Möglichkeit, die Bedeutung dieser Zeile herauszufinden?«
    »Ich habe in Berlin eine physikalische Bibliothek«, sagte Graf. »Ich kann heute Abend nachsehen.«
    »War ›Ms.‹ nicht im Prärubikon eine Anrede für Frauen?«, fragte Frome. »Irgendein Ehrentitel dafür, dass sie nicht heiraten wollten oder so?«
    »Etwas in dieser Art. Aber es kann auch für ›Manuskript‹ stehen.«
    »Hat jemand eine Idee, warum Savi die Nachmenschliche Moira oder Atlantis erwähnt haben könnte?«, fragte Pinchas.
    Die anderen fünf nippten an ihrem Lambrusco oder kauten am Essen. Niemand hatte eine Erklärung anzubieten. Schließlich sagte Hannah: »Ich war noch nie in Atlantis.«
    Wie sich herausstellte, war noch keiner von ihnen dort gewesen. Es war kein Ort, den Altmenschen häufig besuchten.
    »Ich nehme an, mit ›N faxen nicht‹ sind

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