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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Meinungsverschiedenheit hinausging.
    »Vielleicht ist die Verbindung zu den Juden das Motiv«, sagte Pinchas. »Oder ein Anlass.«
    Alle sahen ihn an. Über ihnen flatterten die Leinenbahnen im aufkommenden Wind. Wolken bedeckten den Mond und die Ringe.
    »Ein Motiv wozu?«, fragte Petra, seine Abschwächung ignorierend. »Für einen Massenmord? Ist das letzte Fax eine neue, verbesserte Version von Auschwitz?« Alle am Tisch verstanden die Anspielung. Auch in der postliterarischen Welt nach dem Rubikon-Virus hatten gewisse Worte ihre Kraft noch nicht verloren.
    »Na gut, na gut«, sagte Frome, sichtlich bemüht, es heiter zu nehmen. »Die sechs- oder siebenhundert Millionen Nachmenschen sind alle – wie nannte man noch die Feinde der Juden?«
    »Ihre Feinde waren Legion«, sagte Graf leise.
    »Araber«, sagte Frome, als hätte er es nicht gehört. »Alle Nachmenschen sind Araber. Oder vielleicht sind sie auch – wie heißen sie noch gleich, Petra? Nazis. Alle Nachmenschen haben Hakenkreuze und Flatscans von Hitler in ihren Millionen von Orbitalbunkern hängen.«
    Hannah lächelte nicht. »Wer weiß? Kein Altmensch war jemals da oben. Sie könnten da oben in den Ringen alles Mögliche haben.«
    Petra schüttelte den Kopf. »Das ist doch Unsinn. Selbst wenn Savi krankhaft paranoid war, muss sie doch gewusst haben, dass die Nachmenschen uns während der letzten drei Jahrhunderte jederzeit hätten vernichten können. Wir sind ihnen jedes Mal, wenn wir faxen, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wenn sie wollten … wenn sie uns töten wollten, dann hätten sie uns nicht erst ein Datum für das letzte Fax nennen müssen.«
    »Es sei denn, sie wollen uns auch quälen«, sagte Hannah.
    Die fünf anderen nickten und unterbrachen das Gespräch, während die Servitoren die Teller abräumten und Kaffee, gelato und tartufo brachten.
    Pinchas räusperte sich. »Der letzte Teil – Itbah al-Yahud –, Sie meinten, das sei auch arabisch?«
    »Ja«, sagte Graf. »Es bedeutet: ›Tötet die Juden.‹«
     
    Es war unmöglich, aber die Lichter und die Heizgeräte in Savis Eisberghöhlen versagten.
    Sie versagten nicht alle auf einmal, sondern eine nach der anderen. Mit jedem Tag, der verging, verblassten die Halogenstäbe und erloschen, und die kleinen Heizbrenner gaben immer weniger Wärme ab. Es fiel nicht alles aus. Sie hatte noch genug Licht, um etwas zu sehen, und genug Wärme, um zu überleben, doch während sie sich verzweifelt bemühte, wach und aufmerksam zu bleiben, musste Savi gegen die heranrückende Dunkelheit und Kälte ankämpfen. Sie fragte sich, ob die Stromversorgung ausgefallen war und ob die Welt untergehe.
    Savi schlief nicht tief, sondern nickte nur hin und wieder kurz ein. Zwar träumte sie immer noch vom Manhauling der Schlitten, doch jetzt sah sie sich immer häufiger auch mit Bowers und Scott im Zelt. Oates war fort. Wenn sie erschrocken auffuhr, spürte sie noch die gleiche Kälte um sich wie im Traum, sie hörte immer noch den Wind heulen, roch den Rauch und den Tran und teilte die unermessliche Erschöpfung der geschlagenen Forscher. Auch wenn sie völlig wach war, heulte der Wind noch durch die Höhlen und Gänge. Und sie spürte immer noch die unsägliche Erschöpfung.
    Und es war jemand bei ihr im Eisberg.
    Zuerst war sie überzeugt, es seien nur Halluzinationen, aber die Schritte waren jetzt besser zu hören, und immer häufiger nahm sie Bewegungen aus dem Augenwinkel wahr. Savi hätte annehmen können, sie werde von Voynixen besucht, aber die Voynixe bewegten sich nicht und gaben keine Geräusche von sich. Sie machte sich oft Gedanken über die Voynixe, diese Eindringlinge, die von den Nachmenschen nur als »chronosynthetische Artefakte« oder »temporale Inkongruenzen« bezeichnet wurden. Doch diese nur unscharf wahrgenommenen Gestalten, die stets im Schatten lauerten und immer hinter der nächsten Gangkrümmung verschwanden, waren klein und mit Segeltuch bekleidet und nicht groß, blind und mit einem Panzer geschützt.
    Im Eis war eindeutig etwas eingefroren. Savi fand es dreizehn Tage vor dem letzten Fax. Etwas Dunkles und Festes, ungefähr zwei Meter hinter der Mauer aus Eis in dem Gang, wo sie der natürlichen Spalte gefolgt war. Sie konnte den Umriss im Strahl ihrer Taschenlampe sehen.
    Savi brannte jetzt jeden Tag neue Tunnel – der große Bohrbrenner funktionierte noch einwandfrei –, aber sie zögerte, bevor sie zu dem dunklen Objekt vorstieß. Es hatte in etwa die Form einer Pyramide und

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