Helix
lesen.«
»Einverstanden«, sagte Petra. »Wir bringen dies erst in zwei Wochen zu Graf. Aber wenn Savi nicht auftaucht, kann er uns vielleicht wenigstens den Grund nennen.«
Die beiden standen noch einen Augenblick schweigend in der kalten Einöde von Savis Wohnzimmer.
»Glaubst du, ihr ist etwas zugestoßen?«, fragte Pinchas schließlich.
Petra zwang sich zu einem Lächeln. »Was sollte ihr schon zustoßen? Bei einem schweren Unfall gäbe es Aufzeichnungen der Rekonstruktionsprozedur. Aber als wir Farnet gefragt haben, sagte man uns ja, mit ihr sei alles in Ordnung.«
»Ich wünschte nur, sie hätte uns gesagt, wo sie ist«, meinte Pinchas.
»Sie will ihre Ruhe haben«, sagte Petra.
Darüber mussten sie beide lächeln. Nach einem letzten Blick in die Runde faxten beide nach Norden.
Oates starb als Erster. Jeder weiß das. Oder sagen wir, jeder wusste es, als die Geschichte noch eine Rolle spielte. Das dachte Savi, als noch fünfzehn Tage bis zum letzten Fax blieben. Sie hatte schon seit einigen Tagen auf den Schlaf verzichtet.
Oates verließ Scotts Zelt am Abend des 15. März 1912 und sagte: »Ich gehe nach draußen und bleibe vielleicht eine Weile fort.« Scott, Bowers und Wilson wussten, dass der geschwächte Oates in den Schneesturm ging, um zu sterben. Sie hielten ihn nicht auf. Vierzehn Tage später, am 29. März, starben die anderen drei in ihrem Zelt, nur elf Meilen vom One Ton Depot und der Rettung entfernt.
Seine letzten Stunden verbrachte Scott damit, Notizen und Briefe zu kritzeln. Er verteidigte die Expedition. Er lobte den Mut und die Tapferkeit seiner Kameraden. Sein letzter Eintrag lautete: »Um Gottes willen, gebt auf unsere Leute Acht.« Er schrieb einen kurzen Abschiedsbrief an seinen guten Freund Sir J.M. Barrie, den Autor von Peter Pan. Nun waren Scott und seine Begleiter die verlorenen Kinder.
Savis Träume waren böse und kalt geworden. Sie beschloss, nicht mehr zu träumen. Sie saß in der mit Teppichen ausgelegten Höhle im Herzen ihres Eisbergs, warf Aufputschmittel ein und trank einen Pott schwarzen Kaffee nach dem anderen. Sie hockte über ihren Notizen und den alten Computerdaten, überprüfte die Informationen, hinterfragte und bestätigte ihre Schlussfolgerungen. Es sah übel aus.
Doch sie hatte noch eine Geheimwaffe. Ganz wörtlich. Die Pistole war schwarz und hässlich, wie es nur die Massenprodukte des postindustriellen Jahrhunderts sein konnten, aber sie funktionierte. Sie hatte sie einmal am Hang des Mount Erebus und noch einmal auf der nachtdunklen Oberfläche ihres Eisbergs abgefeuert. Die Waffe knallte laut, wenn sie feuerte. Als sie das erste Mal den Abzug durchgedrückt hatte, war Savi das Ding aus der Hand gefallen, und sie hatte einige Wochen keinen weiteren Schuss mehr abgegeben. Doch jetzt trug sie die schwarze, schwere Pistole gern mit sich herum. Sie gab ihr Sicherheit. Und sie hatte reichlich Schachteln mit Munition.
Zwei Wochen und einen Tag vor dem letzten Fax beschloss sie, es sei an der Zeit, ihre Freunde – besonders Pinchas und Petra – in ihre Pläne einzubeziehen. Sie ließ die Höhlen geheizt und beleuchtet zurück und dachte, dies sei ein guter Ort, zu dem ihr Kader fliegen konnte, um Geheimkonferenzen abzuhalten. Sie kletterte in die heulende Dunkelheit hinauf und folgte den Leitseilen bis zum Sonie. Der Sonie war fort.
Savi schmeckte Galle und Angst im Mund, doch sie kämpfte beides nieder. Ihr Fehler. Sie hatte das Fahrzeug für einen dreiwöchigen Gebrauch formatiert und nicht damit gerechnet, dass sie so lange bleiben würde. Das Ding war nach Ablauf der Frist von sich aus zurückgeflogen, um sich in einer Versorgungsstation recyceln zu lassen.
Savi kehrte ins bläulich schimmernde Eis zurück und dachte nach. Trotz ihrer Aversion gegen das Faxen hatte sie nicht die Geduld, darauf zu warten, dass ein neuer Sonie hergestellt und zu ihr geflogen wurde. Sie aktivierte die Faxfunktion und stellte sich Mantua vor.
Nichts geschah.
Ein paar Sekunden lang konnte Savi keinen klaren Gedanken fassen. Dann, in einer Panik, die sie mit solcher Wucht in ihren ganzen zweihundert Lebensjahren noch nicht verspürt hatte, versuchte sie, sich in Farnet und Proxnet einzuwählen. Keine Reaktion. Stille.
Heftig zitternd setzte sie sich auf den prachtvollen persischen Teppich, legte sich die schwarze Pistole in den Schoß und dachte nach.
In einem Eistunnel hinter ihr bewegte sich ein Schatten. Stiefel mit Stollen knirschten im Eis.
Savi fuhr herum.
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