Hellas Channel
sie sechshunderttausend im Monat verdient hat. Sechshunderttausend dafür, daß sie von mir Informationen entgegennimmt und in der Glotze herunterleiert. Und ich, der ihr alles vorgekaut vorsetzte, habe fünfundzwanzig Jahre meines Lebens gebraucht, um gerade mal auf die Hälfte ihres Gehalts zu kommen. Kein Wunder, daß sie auf mich herabsah und ich sie als Lesbe abstempelte, bei solch einem gewaltigen Abgrund zwischen uns.
Ihre übrigen Einkünfte bildeten die Mieteinnahmen einer Zweizimmerwohnung in Athen und die Tantiemen eines von ihr veröffentlichten Buches. Der Steuererklärung liegt eine Kopie der Jahresabrechnung des Verlags bei. Das Buch heißt Ein unauffälliger Mensch . Ich gehe zur großen Bücherwand, hole es aus dem dritten Regal und stelle fest, daß sie ihren bisher größten journalistischen Erfolg, den Fall Kolakoglou, vermarktet hat.
Petros Kolakoglou war Steuerberater und vor drei Jahren wegen des Mißbrauchs zweier minderjähriger Mädchen verurteilt worden. Eines der beiden war sein Patenkind, gerade mal neun Jahre alt. Kolakoglou ging mit ihr eines Nachmittags bummeln, um ihr ein Kleidchen zu kaufen. Das kleine Mädchen sagte später seiner Mutter, der Patenonkel habe sie in seine Wohnung mitgenommen. Dort habe er sie ausgezogen, um ihr die neuen Kleider anzuprobieren. Dann habe er begonnen, sie zu streicheln. Die Eltern erstatteten unverzüglich Anzeige bei der örtlichen Polizeidienststelle. Anscheinend einigten sie sich jedoch mit Kolakoglou im Verlauf der Vorerhebungen, denn die Kleine widerrief plötzlich ihre Aussage, die Eltern zogen die Anzeige zurück, und der Fall wanderte ins Archiv. In diesem Augenblick aber trat Janna Karajorgi auf den Plan und ließ die Bombe ihrer Enthüllungsstory platzen. Es gab da nämlich noch ein zweites Kind, die kleine Tochter von Kolakoglous Bürogehilfin. Die junge Mutter nahm ihr Kind in den Schulferien mit ins Büro, weil sie es sonst nirgendwo lassen konnte. Kolakoglou zeigte große Zuneigung zu der Kleinen, kaufte ihr Süßigkeiten und Geschenke, und das Mädchen nannte ihn ›Onkel‹. Der Karajorgi war aufgefallen, daß die Beziehung zwischen den beiden nicht ganz harmlos war, weshalb sie die Mutter davon überzeugte, zur Polizei zu gehen. Dieser Vorfall lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf die erste Begebenheit. Die Eltern des Patenkindes gaben nach und erstatteten erneut Anzeige. Kolakoglou bekam im ersten Verfahren acht Jahre aufgebrummt, ging in die Berufung und kam mit sechs Jahren davon. Diese erste Enthüllungsstory machte die Karajorgi berühmt. Die zweite hatte sie nun anscheinend das Leben gekostet.
Ich lege das Buch aus der Hand, weil mir mit einem Mal der Grund wieder einfällt, der mich so früh am Morgen hierhergeführt hat: Ich wollte Karajorgis Terminplaner finden. Zu beiden Seiten des Schreibtisches befinden sich hölzerne Rollos wie bei den meisten Modellen älteren Typs. Wenn man sie hochschiebt, kommen je drei Schubladen zum Vorschein. In der ersten rechts finde ich einen Fotoapparat der Marke Nikon, ein sündteures Modell mitsamt des ganzen Zubehörs, ein Teleobjektiv inbegriffen. Ich schaue auf die Bildanzeige, sie steht auf Null. Also dürfte kein Film in der Kamera sein, doch ich lasse sie für alle Fälle auf dem Schreibtisch für die Arbeit der Spurensicherung liegen. In der untersten Lade links stoße ich auf vier Farbfotografien eines Paares, das Arm in Arm auf einem Sofa sitzt. Die Frau ist die Karajorgi wie sie leibte und lebte. Das Gesicht des Mannes ist unkenntlich, denn jemand hat es mit einem schwarzen Filzstift übermalt. Ein Schnauz- und Backenbart wurde hinzugefügt und die Nase auf die Ausmaße einer Aubergine vergrößert. Auf einer der Fotografien wurde ihm ein Hut aufgesetzt.
In der obersten Schublade rechts sehe ich eine Mappe, die Eselsohren aufweist. Sonst ist die Lade leer, nur die Mappe liegt einsam und verlassen darin. Ich nehme sie heraus und öffne sie. Ich stoße auf sechs an die Karajorgi adressierte Briefe. Die Handschrift bei allen sechs ist dieselbe, schwer leserliche Krähenfüße, für die uns der Lehrer in der Grundschule mit der spitzen Seite seines Lineals auf die Finger geklopft hätte. Das jüngste Schreiben wurde vor zwei Wochen verfaßt, das älteste vor eineinhalb Jahren. Alle beginnen sie mit derselben schmucklosen Anrede: ›Janna‹. Im ersten Brief spricht der Verfasser von seiner Überraschung, ihr nach so vielen Jahren durch Zufall wiederbegegnet zu sein, und ersucht sie um
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