Hellas Channel
eine ›Aussprache‹. Es scheint jedoch, daß die Karajorgi ihm den Gefallen nicht getan hat, denn einen Monat später kommt er wieder darauf zurück. Vom dritten Schreiben an erhalten die Briefe noch eine weitere interessante Dimension. Denn der Briefschreiber will etwas von der Karajorgi. Etwas, das sie ihm vorenthält. Nie benennt er, was er genau meint. Es bleibt stets im unklaren, als ob es etwas ganz Allgemeines wäre, worüber sie unzählige Male gesprochen haben: ›Ich will es sehen‹, ›Ich möchte, daß du es mir zeigst‹, ›Ich habe auch ein Recht darauf‹. Anfänglich bittet er, beschwört sie. Doch die Karajorgi hielt ihn, wie es scheint, zum Narren, denn er bedrängt sie immer mehr, bis er im letzten Brief sogar vor einer Drohung nicht zurückschreckt:
Über einen langen Zeitraum schon tue ich alles, was Du von mir verlangst, und immer wieder sage ich mir, Du wirst Dein Wort schon halten. Doch Du führst mich nur an der Nase herum. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Du nicht vorhast, mir entgegenzukommen. Du läßt mich immer nur warten, um mich erpressen zu können und Dir das zu holen, was Du willst. Doch jetzt ist Schluß, das geht nicht mehr so weiter. Diesmal werde ich nicht klein beigeben. Zwinge mich nicht zum Äußersten, denn Du bringst Dich um Kopf und Kragen, und die Schuld liegt einzig und allein hei Dir.
Die Briefe tragen keine Unterschrift. Nur den Großbuchstaben ›N‹. Ich stehe davor und schaue ihn an. Welcher Name verbirgt sich hinter dem ›N‹? Nikos, Nondas, Notis, Nikitas, Nikiforos? Wer auch immer dieser ›N‹ sein mochte, er war ein Bekannter von ihr und bedrohte sie. Und die Karajorgi hatte sich mit ihrem Mörder auf ein Gespräch eingelassen, bevor er sie tötete.
Die anderen beiden Schubladen sind leer. Kein Terminplaner weit und breit. Unter uns gesagt, habe ich auch nicht erwartet, ihn zu finden. Da er weder in ihrer Handtasche noch auf ihrem Schreibtisch war, muß ihn der Mörder an sich genommen haben. Und noch etwas fehlt: Nirgends gibt es Hinweise auf Kinder, mit Ausnahme des Buches über Kolakoglou. Keine Mappe, keine Unterlagen, nichts. Warum hat sie mir dann wegen der Albaner die Ohren vollgequatscht? Es macht nur Sinn, wenn wir etwas in den Dateien ihres Computers finden.
Ich nehme die Mappe mit den Briefen an mich, sammle die Fotografien zusammen und trete aus dem Zimmer. Bei diesem Regen kann ich nur im Schrittempo fahren und brauche eine Stunde zum Büro. Ich habe alle Zeit der Welt zum Nachdenken.
13
A uf meinem Schreibtisch finde ich mein Croissant, den Kaffee und drei dringliche Anfragen von Gikas vor. Die Fahrt von Karajorgis Wohnung zum Büro hat meinen Zustand nur noch verschlimmert. Ich hole zwei Aspirin aus der Schreibtischschublade und schlucke sie mit dem ekelerregend kalten Kaffee hinunter. Ich lehne mich in meinem Sessel zurück in der Hoffnung, meinen dröhnenden Kopf etwas zu beruhigen. Verlorene Liebesmüh. Als läge ein Boot auf dem Trockendock und man hämmerte auf seinen Kiel ein. Ich gebe es schließlich auf, packe die Mappe und die Fotografien und mache mich auf den Weg zu Gikas.
Sowie ich die Tür öffne, sehe ich sie alle vor mir. An der Spitze Sotiropoulos. Jetzt, wo die Karajorgi nicht mehr ist, macht ihm niemand seine Führungsrolle streitig.
»Wie läuft’s, Kommissar?« fragt er mit einem Gesichtsausdruck, der mir zu verstehen gibt, er habe mich nun reichlich lange ertragen und sei knapp davor, den Galgen zu errichten.
»Gehen Sie nicht weg, ich brauche Sie noch.«
So allgemein und unbestimmt, wie ich es hinwerfe, kann es bedeuten, ich wolle sie verhören, es kann aber auch heißen, ich würde eine offizielle Erklärung abgeben. Da sie sich die zweite Möglichkeit nicht entgehen lassen wollen, nehmen sie wohl oder übel die erste in Kauf. Ich lasse sie verwundert stehen und gehe zum Fahrstuhl. Anscheinend hat er Mitleid mit meinem miserablen Zustand und ist sogleich zur Stelle.
Koula lauert mir bereits auf und packt die Gelegenheit beim Schopf. »Na so was, was sagt man dazu: diese Karajorgi! Ich hab’s heute morgen erfahren!«
Koulas Bemerkung bessert sofort meine schlechte Laune. Sie bringt mich auf den Gedanken, daß die von Sperantzas angekündigte Enthüllungsstory sich als Seifenblase erweisen könnte. Denn die meisten Zuschauer gehen um Mitternacht ins Bett und haben keine Lust mehr, mit mörderischen Alpträumen, Vergewaltigungen, Hungersnöten, Erdbeben und Überflutungen behelligt zu werden.
»Ich
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