Hellas Channel
mich wunderte, woher er das alles wußte.
»Seit ich denken kann, legt ihr Akten über mich an«, sagte er lachend. »Nun habe ich beschlossen, ein paar von euch zu verbürokratisieren. Das ist meine späte Rache. Wer weiß, vielleicht schreibe ich morgen schon ein Buch über Finanzhaie und greife dabei auf meine Akten zurück.« Er grinste pfiffig.
Als ich ihn bat, mir sein Archiv zu zeigen, wurde er todernst. »Weder zeige ich es dir, noch sage ich, wo ich es versteckt habe. Ihr seid imstande, es einfach zu beschlagnahmen.«
Mit Charmanis hatte er ins Schwarze getroffen. Wir faßten ihn und feierten einen der größten Fahndungserfolge meiner Dienstzeit. Später, als wir Vertrauen zueinander faßten, zeigte er mir sein Archiv doch. Mir blieb der Mund offenstehen. Im Vergleich zu ihm hatten wir von Tuten und Blasen keine Ahnung. Mit einer Tollkühnheit sondergleichen hatte er das Leben von fünfhundert Personen ausgeforscht. Zum Teil waren bekannte Namen darunter, andere hörte ich zum ersten Mal. Es schien, als sammle er seit Jahren Hinweise, Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen. Seit damals suchte ich ihn jedesmal auf, wenn ich mit Untersuchungen, bei denen es um Geldwäsche ging, nicht mehr weiterkam. Es handelte sich um eine geheime Freundschaft, von der nur wir beide wußten und niemand sonst. Das freilich hinderte ihn nicht daran, jedes Mal herumzumäkeln und mir das Leben schwerzumachen, wenn ich Informationen von ihm benötigte.
So wie jetzt auch. Wir sitzen einander gegenüber, zwischen uns ein Tischchen mit den beiden Kaffeetassen. Seine Wohnung ist eigentümlich eingerichtet, so als hätte er das Mobiliar seiner Veranda ins Wohnzimmer verfrachtet. Vier mit Stoff bezogene Gartenklappstühle und ein schmiedeeisernes Klapptischchen, wie man sie früher in den Kaffeehäusern fand. Das einzige weitere Möbelstück ist ein riesiges Bücherregal aus Ziegelsteinen und dicken Holzdielen, das die mir gegenüberliegende Wand bis zur Decke ausfüllt und auf dem sich die Bücher, teils aufrecht, teils waagrecht, aneinanderdrängen.
»Du bist doch dein ganzes Leben lang politisch verfolgt worden und lebst jetzt von der Rente eines Widerstandskämpfers. Wo nimmst du bloß das Geld für all die Bücher her?« frage ich ihn. Das ist eine Frage, die mich schon lange quält.
Er lacht aus vollem Hals. »Mach die Augen auf, du zum Bullen gewordenes Landei! Buchläden sind dazu da, beklaut zu werden«, meint er mit einem gewissen Stolz in der Stimme.
»Was? Du … stiehlst die Bücher?«
»In der kapitalistischen Gesellschaft kommt man nur an Wissen, indem man dafür bezahlt oder es sich stiehlt. Auf keine andere Art und Weise.«
Mir liegt auf der Zunge, ob ihm entgangen sei, daß in Griechenland die Schulbildung kostenlos sei. Doch urplötzlich kommen mir die Unsummen in den Sinn, die mich Katerinas Studium in Thessaloniki kostet, und ich verkneife mir den Einwand.
Sissis’ Züge werden mit einem Schlag ernst. »Du bist doch nicht angetanzt, um mich über meine Bibliothek auszufragen. Dich treibt doch etwas anderes hierher. Ich merke schon, ich soll wieder Frondienst leisten.«
Nun, da er selbst die Sprache darauf gebracht hat, habe ich keinen Grund mehr, mit meinen wahren Absichten hinter dem Berg zu halten. »Pylarinos«, sage ich zu ihm. »Christos Pylarinos. Sagt dir der Name etwas?«
»Warum kommst du damit ausgerechnet zu mir?« entgegnet er unwirsch. »Verflucht noch mal, wieso hab ich nur jemals mein Privatarchiv ins Spiel gebracht? Ihr könnt doch auf eure Aktenarchive und euren Staatlichen Nachrichtendienst zurückgreifen.«
»Nationaler Nachrichtendienst heißt das jetzt«, unterbreche ich ihn.
»Na wenn schon, dann eben auf euren Nationalen Nachrichtendienst. Jacke wie Hose … Aber was hab ich damit zu schaffen? Ich bin weder einer eurer Agenten, noch habe ich jemals eine Reueerklärung bezüglich meiner politischen Überzeugungen abgegeben, womit ihr mich nun erpressen und zu eurem Informanten machen könntet.«
»Er ist ein ehemaliger Linker«, fahre ich ungerührt fort, denn jedesmal gehen wir nach demselben Ritual vor, nehmen denselben steinigen Pfad aus Worten in Angriff und erklimmen dieselben Bäume, auf deren Ästen wir einander schließlich gegenübersitzen. »Wie du auch.«
»Ich weiß, wer er ist«, antwortet er in verächtlichem Ton, wobei mir nicht ganz klar ist, gegen wen sich der Widerwille richtet – gegen mich oder gegen Pylarinos. »Nur, daß ich kein Ehemaliger bin, sondern
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