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Hellas Channel

Hellas Channel

Titel: Hellas Channel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Spätschicht, wenn ich allein im Untersuchungsgefängnis war, ließ ich ihn aus der Zelle heraus, damit er ein wenig Luft schnappen und sich die Beine vertreten konnte. Ab und zu gab ich ihm eine Zigarette, und immer, wenn ihn Kostaras im Faß eingeweicht hatte, ließ ich ihn bei der Heizung stehen, damit seine feuchten Kleider, so gut es eben ging, trockneten. Sobald ich Schritte vernahm, schloß ich ihn wieder in seine Zelle ein. Vor mir selbst rechtfertigte ich mein Verhalten dadurch, daß ich ihn zu Kräften kommen lassen wollte, um meine Wette nicht zu verlieren. Wenn ich ihn seinen Topf ausleeren ließ und er den Inhalt verschüttete, weil er zu entkräftet war, um ihn hochzuheben, oder wenn ich ihn vom Verhör wegbrachte und er sich kaum auf den Beinen halten konnte, dann versetzte ich ihm vor den anderen schnell ein paar schallende Ohrfeigen, um nicht in den Geruch zu kommen, mich einem Kommunistenschwein gegenüber allzu sanftmütig zu verhalten und dadurch in Kalamitäten zu geraten. Ihm persönlich habe ich nie erklärt, warum ich das alles tat. Er zeigte auch keinen Dank. Später, als man ihn auf der Tragbahre in das Averof-Gefängnis überführte, verlor ich ihn aus den Augen.
    Ich traf ihn rein zufällig ’82 auf dem Korridor des Polizeipräsidiums wieder. Sein Haar war weiß geworden, sein Gesicht faltig, und er ging gebeugt, als sei er erschöpft. Nur sein Blick war immer noch so, daß man versucht war, auf ihn zu setzen. Wir blieben stehen und musterten einander wortlos. Unsere Verlegenheit beruhte auf Gegenseitigkeit, keiner von uns wagte den ersten Schritt. Plötzlich streckte mir Sissis die Hand entgegen, und ich drückte sie, und er sagte zu mir:
    »Du bist schon in Ordnung. Schade, daß du Bulle geworden bist.«
    Und ich folgte einer Eingebung und meinte: »Würdest du die Einladung eines Bullen zum Kaffee ausschlagen?« Ich war sicher, daß er ablehnen würde, doch er brach in Gelächter aus. »Wir können schon einen trinken, jetzt, wo wir Kommunisten legalisiert sind und ihr Polizisten Demokraten geworden seid«, sagte er. »Wer weiß, was morgen passiert.« Beim Kaffeetrinken offenbarte er mir, daß er die Dienststelle aufgesucht hatte, weil er einen Bescheid benötigte, um die ihm als Widerstandskämpfer zustehende Rente beantragen zu können. Doch unsere Leute waren nicht von der schnellen Truppe. Schließlich kümmerte ich mich darum. Da erzählte er mir, daß er im Haus seines Vaters, in der Hekabe-Straße in Nea Philadelphia wohnte.
    Damals war ich bei der Rauschgiftfahndung und hatte gerade begonnen, meine paar Brocken Englisch zu lernen. Eines Tages ging bei uns über Funk eine Meldung des Polizeireviers in Nea Philadelphia ein. Sie hatten Hinweise darauf, daß ein Wohnhaus in der Medea-Straße als Schlupfwinkel für Drogendealer diente, und sie ersuchten uns einzuschreiten. Mein Vorgesetzter schickte mich vor Ort, damit mich die Kollegen unterweisen konnten. Sissis’ Bescheid war in der Zwischenzeit eingetroffen, und ich dachte daran, ihn bei der Gelegenheit davon in Kenntnis zu setzen, damit er ihn sich von der dortigen Dienststelle abholen konnte. Das tat ich nicht allein aus Gefälligkeit. Ich hoffte, bei ihm einige Auskünfte über seine Wohngegend einholen zu können.
    Er hauste in einem jener ohne Baugenehmigung in Windeseile hochgezogenen Häuser, die während des letzten Wahlkampfs schnell noch in den städtischen Bebauungsplan aufgenommen wurden. Der kleine Hofgarten war voll von verschiedenfarbig bemalten Olivenölkanistern, die Geranien, Nelken, Zitronenbäumchen und Begonien beherbergten. So sieht es auch heute noch aus, nichts hat sich verändert. Er begrüßte mich ohne große Begeisterung, aber er brachte mir dennoch eine Tasse Kaffee.
    »Das wäre aber nicht nötig gewesen, daß du dich extra wegen des Bescheids hierherbemühst«, meinte er zu mir. »Ich hätte mich schon telefonisch gemeldet.«
    Als ich ihm erläuterte, aus welchem Grund ich gekommen war, warf er mir einen abschätzigen Blick zu und schüttelte schicksalsergeben seinen Kopf. »Es ist nicht zu glauben, ihr Bullen lernt doch nie dazu. Ihr verfolgt immer die Kleinen. Charmanis ist euer Mann.«
    Der besagte Charmanis besaß einen Motorradladen, den er als Scheinfirma vorschob, um in aller Ruhe mit Drogen zu handeln. Alle wußten davon, auch die Polizeibeamten des Reviers, doch er war ein ehemaliger Armeeoffizier und genoß Protektion von höchster Stelle. Sissis war derartig gut informiert, daß ich

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