Helle Barden
ältesten Familien von Ankh. Das Schicksal hatte sie zu-
sammengeführt wie Zweige in einem Strudel. Jetzt blieb ihnen nichts
anderes übrig, als sich dem Unvermeidlichen zu fügen…
Als kleiner Junge hatte Sam Mumm geglaubt, die Reichen äßen von
goldenen Tellern und wohnten in Häusern aus Marmor.
Jetzt wußte er: Sehr reiche Leute leisteten sich den Luxus, arm zu sein.
Sybil Käsedick lebte in jener Art von Armut, die nur den Reichsten der
Reichen zur Verfügung stand. Einer solchen Armut näherte man sich
von der anderen Seite. Nur begüterte Frauen kauften seidene Kleider mit
Spitzen und Perlen; Lady Käsedick war so reich, daß sie es sich erlaubte, in Gummistiefeln herumzulaufen und einen Tweedrock von ihrer Mutter
zu tragen. Sie war so reich, daß sie es sich leisten konnte, al ein von Kek-sen und Käsebroten zu leben. Sie war so reich, daß sie mit drei Zimmern
vorliebnahm, obwohl die Villa vierunddreißig Räume bot. In den übrigen
Kammern standen, von Staubtüchern bedeckt, sehr teure und sehr alte
Möbel.
Mumm vermutete, daß die Reichsten der Reichen deshalb so unerhört
reich waren, weil sie weitaus weniger Geld ausgaben als andere Leute.
Man nehme zum Beispiel Stiefel. Mumm verdiente achtunddreißig
Ankh-Morpork-Dollar im Monat, plus Spesen. Wirklich gute Lederstiefel
kosteten etwa fünfzig Dol ar das Paar. Erschwingliche Stiefel hingegen kosteten nur rund zehn Dol ar. Etwa ein Jahr lang leisteten sie gute Dien-
ste, dann war die Pappsohle so dünn, daß man sich selbst bei leichtem
Nieselregen nasse Füße holte. Solche Stiefel hatte Mumm immer be-
nutzt. Er trug sie so lange, bis er durch die hauchdünnen Sohlen die cha-
rakteristischen Merkmale des Kopfsteinpflasters spürte und so selbst in
einer nebligen Nacht feststellen konnte, wo er sich befand.
Gute Stiefel hingegen hielten jahrelang. Wenn man fünfzig Dollar für ein Paar Stiefel ausgab, waren auch noch in zehn Jahren trockene Füße
garantiert. Ein armer Teufel hingegen, der sich mit billigem Schuhwerk
begnügen mußte, gab in der gleichen Zeit hundert Dol ar für einfache
Stiefel aus und hatte trotzdem nasse Füße.
So lautete Hauptmann Samuel Mumms Stiefeltheorie über die sozial-
ökonomische Ungerechtigkeit.
Es lief auf folgendes hinaus: Sybil Käsedick wurde nur selten mit der
Notwendigkeit konfrontiert, etwas anzuschaffen. In der Villa gab es
zahlreiche alte Möbel, die ihre Vorfahren gekauft hatten und die nie ab-
nutzten. Dutzende von Schatul en enthielten kostbaren Schmuck – das
Zeug schien sich im Lauf der Jahrhunderte von ganz allein angesammelt
zu haben. Im Weinkel er unter dem Gebäude hätten sich Speläologen
mit Begeisterung betrunken, um anschließend den ebenso langen wie
komplizierten Rückweg vergessen zu haben.
Lady Sybil Käsedick lebte glücklich und zufrieden, indem sie etwa halb
soviel Geld ausgab wie Mumm. Doch bei ihren Drachen sparte sie nicht.
Das Sonnenscheinheim hatte besonders dicke Wände und ein beson-
ders leichtes Dach – die architektonischen Eigenheiten von Fabriken, in
denen man Feuerwerkskörper herstellte.
Der Grund: Sumpfdrachen sind normalerweise chronisch krank. Und
chronisch kranke Sumpfdrachen neigen dazu, sich mehr oder weniger
gleichmäßig auf Wänden, Boden und Decke eines Raums zu verteilen.
Sumpfdrachen sind wie ein achtlos gewarteter und gefährlich instabiler
Reaktor, der dicht – sehr dicht – vor einer Explosion steht.
Daß Sumpfdrachen gerne mit einem lauten Krachen explodieren, wenn
sie zornig, aufgeregt, erschrocken oder schlicht gelangweilt sind, ist für Biologen eine Überlebenseigenschaft*. Die Botschaft lautet: Wenn du
Drachen frißt, holst du dir Blähungen, die dich auseinanderreißen wer-
den.
Ganz vorsichtig öffnete Mumm die Tür, und Drachengeruch wehte
ihm entgegen. Selbst nach den Maßstäben von Ankh-Morpork war es ein
ungewöhnliches Aroma. Es erinnerte Mumm an einen Teich, der jahre-
lang alchimistische Abfäl e aufgenommen hatte und dann ausgetrocknet
war.
Kleine Drachen heulten und quiekten in den Pferchen, die sich rechts
und links vom Gang erstreckten. Flammen züngelten aus aufgeregten
Mäulern und versengten ihm die Haare an den nackten Schienbeinen.
Er fand Sybil Käsedick bei einigen in Kniehosen gekleideten jungen
Frauen, die ihr bei der Verwaltung des Sonnenscheinheims halfen. Für
gewöhnlich hießen die Assistentinnen Sara oder Emma, und für Mumm
sahen sie al e gleich aus. Derzeit
Weitere Kostenlose Bücher