Helle Barden
Straßen
und Gebäude… natürlich existierten sie nach wie vor, aber hauptsächlich
als grauer Hintergrund, vor dem sich Geräusche und Gerüche in Linien
aus… buntem Feuer und in Wolken aus… aus farbigem Rauch abzeich-
neten.
Genau das war das Problem. Es gab keine geeigneten Worte, mit de-
nen Angua nachher beschreiben konnte, was sie gehört und gerochen
hatte. Wenn man eine Zeitlang eine völlig neue, achte Farbe betrachtet
hatte und man danach einer auf sieben Farben beschränkten Welt ihre
Beschaffenheit schildern sol te… dann konnte man nur von einem
»grünlichen Purpur« oder dergleichen sprechen. Erfahrungen sind für
jede Spezies individuell. Wenn man sie zwischen den Gattungen aus-
tauscht, verlieren sie an Bedeutung.
Manchmal (aber nicht sehr oft) hielt es Angua für einen glücklichen
Umstand, daß sie beide Welten erleben konnte. Außerdem waren wäh-
rend der ersten zwanzig Minuten nach der Veränderung alle Sinne verstärkt, weshalb die Welt in jedem Wahrnehmungsspektrum wie ein Re-
genbogen schimmerte. Diese Phase entschädigte in gewisser Weise für
den Rest.
Es gab verschiedene Werwölfe. Manche mußten sich nur einmal pro
Stunde rasieren und die Ohren unter einem Hut verstecken. Sie blieben
fast normale Leute.
Aber Angua konnte sie trotzdem erkennen. Werwölfe identifizierten
andere Werwölfe selbst dann, wenn es in ihrer Nähe von Menschen und
anderen Spezies wimmelte. Es lag vor allem an den Augen. Natürlich gab
es noch andere Hinweise. Werwölfe lebten meist al ein und scheuten den
Kontakt mit Tieren. Sie benutzten viel Parfüm und Rasierwasser und
waren sehr pingelig mit dem Essen. Darüber hinaus führten sie Tagebü-
cher, in denen die Mondphasen rot markiert waren.
Die Werwölfe auf dem Land hatten es besonders schwer. Sie waren so-
fort schuld, wenn irgendwo ein Huhn fehlte. Das Leben in der Stadt sei
viel besser, hieß es unter ihnen.
Es war zumindest… überwältigend.
Angua sah verschiedene Stunden der Ulmenstraße zur selben Zeit. Die
Furcht des Straßenräubers war eine verblassende orangefarbene Linie,
Karottes Fährte eine sich ausdehnende hel grüne Wolke: Hier und dort
deuteten besondere Schattierungen auf Besorgnis hin; andere Farbtöne
kündeten von altem Leder und Brustharnischpolitur. Weitere Spuren
führten kreuz und quer durch die Straße. Einige von ihnen waren ganz
deutlich; andere lösten sich allmählich auf.
Eine roch wie ein alter Abortteppich.
»Yo, Bitch«, ertönte eine Stimme hinter Angua.
Sie drehte den Kopf. Auch mit Hundeaugen betrachtet, sah Gaspode
nicht besser aus. Es gab nur einen nennenswerten Unterschied: Eine
Wolke aus bunten Gerüchen umgab ihn.
»Oh. Du bist’s.«
»Genau«, sagte Gaspode und kratzte sich hingebungsvol . Dann be-
dachte er Angua mit einem hoffnungsvol en Blick. »Wenn ich dich etwas
fragen darf, ich meine, wir sol ten’s gleich hinter uns bringen, es gehört einfach dazu, Hunde sind nun mal so… äh… dürfte ich viel eicht mal
schnüffeln, du weißt schon, wo…«
»Nein.«
»Wie gesagt, war nur ‘ne Frage. Nichts für ungut.«
Angua rümpfte die Schnauze.
»Wie kommt es, daß du so riechst? Ich meine, du hast schon schlimm
gerochen, als ich ein Mensch war, aber jetzt…«
Gaspode hob stolz den Kopf.
»Toll, nicht wahr?« erwiderte er. »Es kam nicht von selbst, weißt du.
Ich mußte hart daran arbeiten. Wenn du ein richtiger Hund wärst…
dann würde mein… äh… Duft dich wie ein besonders verlockendes
Aftershave anziehen. Übrigens sol test du dir ein Halsband zulegen, Teu-
erste. Alle lassen dich in Ruhe, wenn du ein Halsband trägst.«
»Danke.«
Gaspode zögerte.
»Äh… du reißt doch keine Herzen aus, oder?«
»Nur, wenn ich will«, betonte Angua.
»Oh, gut, gut«, sagte Gaspode hastig. »Wohin gehst du?«
Er watschelte krummbeinig neben Angua her.
»Ich möchte ein bißchen bei Hammerhocks Werkstatt herumschnüf-
feln. Und ich habe dich nicht gebeten, mich zu begleiten.«
»Oh, keine Sorge, derzeit hab ich nichts anderes zu tun«, erwiderte
Gaspode. »Die Abfäl e von Hargas Rippenstube werden erst gegen Mit-
ternacht nach draußen gebracht.«
»Hast du gar kein Zuhause?« fragte Angua, als sie an einer Imbißbude
vorbeiliefen.
»Ein Zuhause? Ich? Ja. Natürlich. Lachende Kinder, große Küche, drei
Mahlzeiten pro Tag, nebenan eine Katze zum Jagen, eigene Decke, war-
mer Platz am Kamin, ach, er ist einer von der sentimentalen
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