Helle Barden
ein Clown seine Schminkmaske auf das Ei; dadurch wird sie offiziell. Niemand sonst darf sie benutzen. Dieser Punkt ist sehr wichtig. Einige Gesichter sind schon seit Generationen im Besitz einer Familie. Das Gesicht eines Clowns kann sehr wertvoll sein. Stimmt’s, Boffo?«
Der Clown starrte ihn an.
»Woher weißt du das alles?«
»Hab’s in einem Buch gelesen.«
Angua griff nach einem alten Ei. Auf einem kleinen Schild daran standen zehn oder mehr Namen. Alle waren durchgestrichen, bis auf den letzten. Die verstrichene Zeit hatte die Tinte der ersten Namen in einen blassen Schatten verwandelt. Vorsichtig stellte Angua das Ei ins Regal zurück und wischte sich unbewußt die Hände an der Uniform ab.
»Was passiert, wenn ein Clown das Gesicht eines anderen Clowns kopiert?« fragte sie.
»Wir vergleichen alle neuen Eier mit denen, die bereits in den Regalen stehen«, erklärte Boffo. »Übereinstimmungen sind nicht gestattet.«
Sie wanderten durch die Gänge zwischen den vielen Gesichtern. Angua glaubte, das Quatschen von Millionen mit Sahnetorten gefüllten Hosen zu hören, die Echos von tausend Tröten. Sie sah eine Million grinsender Mienen, die eigentlich nicht lächelten. Etwa auf halbem Weg durch den Saal gelangten sie zu einem Alkoven. Er enthielt einen Tisch, einen Stuhl, ein Regal mit alten Mappen und eine Werkbank mit verkrusteten Farbtöpfen, buntem Roßhaar, Pailletten und anderen für das Bemalen von Eiern erforderlichen Utensilien. Karotte griff nach einem Bündel Roßhaar und drehte es nachdenklich hin und her.
»Angenommen…«, sagte er, »angenommen, ein Clown mit eigenem Gesicht möchte das Gesicht eines anderen Clowns benutzen.«
»Wie bitte?« erwiderte Boffo.
»Angenommen, jemand verwendet die Schminke eines anderen Clowns«, sagte Angua.
»Oh, das passiert immer wieder«, sagte Boffo. »Die Leute leihen sich oft Klatsche von den Kollegen aus.«
»Klatsche?« wiederholte Angua.
»Schminke«, übersetzte Karotte. »Nein, Boffo, ich meine: Könnte sich ein Clown so zurechtmachen, daß er wie ein anderer Clown aussieht?«
Tiefe Falten bildeten sich auf Boffos Stirn, als er versuchte, eine für ihn absurde Frage mit Sinn zu füllen.
»Bitte?«
»Wo ist Beanos Ei, Boffo?«
»Hier auf dem Tisch«, antwortete der kleine Clown. »Seht es euch ruhig an.«
Er zeigte ein Ei mit einer knollenförmigen Nase und rotem Haar. Karotte hob es ins Licht und holte einige rote Strähnen hervor.
»Aber…« Angua suchte nach den richtigen Worten, damit Boffo verstand. »Könntest du nicht morgens aufwachen und dich so schminken, daß du wie ein anderer Clown aussiehst?«
Einige Sekunden lang sah Boffo sie stumm an. Sein Make-up schuf eine starre Maske des Kummers, deshalb veränderte sich sein Gesichtsausdruck kaum. Trotzdem spürte Angua plötzlich eine besondere Kühle, als hätte sie dem kleinen Clown vorgeschlagen, mit einem Huhn intim zu werden.
»Wie sollte ich dazu imstande sein?« erwiderte Boffo. »Dann wäre ich nicht mehr ich selbst.«
»Könnte jemand anders so etwas tun?«
Wasser spritzte aus Boffos Knopfloch.
»Solches Gerede brauche ich mir nicht anzuhören!«
»Bedeutet das, daß kein Clown jemals auf den Gedanken käme, das Gesicht eines anderen Clowns zu benutzen?« vergewisserte sich Karotte.
»Geht das schon wieder los?«
»Und wenn ein junger Clown durch Zufall…«
»Wir sind anständige Leute, klar?«
»Entschuldigung«, sagte Karotte. »Ich glaube, ich verstehe jetzt. Als wir den armen Beano fanden, fehlte ihm die Perücke; vielleicht hat sie ihm der Fluß vom Kopf gerissen. Aber seine Nase… Du hast Feldwebel Colon gesagt, jemand hätte seine Nase genommen, seine
richtige
Nase.« Im ruhigen, freundlichen Ton eines Mannes, der mit einem Einfaltspinsel redet, fügte der Korporal hinzu: »Würdest du uns bitte deine
richtige
Nase zeigen, Boffo?«
Der Clown hob die Hand zu seiner großen roten Nase.
»Aber das ist…«, begann Angua.
»… seine
richtige
Nase«, beendete Karotte den Satz. »Danke.«
Boffo beruhigte sich ein wenig.
»Ihr solltet jetzt besser gehen«, sagte er. »Solche Sachen gefallen mir nicht. Sie regen mich auf.«
»Entschuldigung«, sagte Karotte noch einmal. »Weißt du, ich habe eine Idee. Zunächst war alles nur eine Vermutung, doch inzwischen bin ich ziemlich sicher. Ich glaube, ich kenne den Täter. Doch ich mußte die Eier sehen, um Gewißheit zu erlangen.«
»Behauptest du etwa, ein anderer Clown hätte Beano umgebracht?« fragte
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