Helle Barden
Karotte.
Gaspode beschnüffelte einen Laternenpfahl.
»Ah. Der dreibeinige Schepp ist erneut krank gewesen, wie ich rieche«, sagte er. »Und Schnösel-Willi hält sich wieder in der Stadt auf.«
Für Hunde sind gut plazierte Laternenpfähle wie die Gesellschaftsrubrik in der Zeitung.
»Wo sind wir?« fragte Angua. Es fiel ihr schwer, die Fährte des Stinkenden Alten Ron weiterhin zu erkennen, weil es hier viele andere Gerüche gab.
»Irgendwo in den Schatten«, erwiderte Gaspode. »Die Schätzchengasse riecht so.« Er schnüffelte erneut, diesmal am Boden. »Aha, hier ist die Spur wieder. Sie…«
»
Hallo, Gaspode…
«
Die Stimme war tief und heiser, und ihr Flüstern klang, als hätte jemand Sand hineingestreut.
»Wer ist deine Freundin, Gaspode?«
Jemand kicherte spöttisch.
»Oh«, erwiderte Gaspode. »Äh. Hallo, Kumpel.«
Zwei Hunde näherten sich. Sie waren riesig und gehörten zu keiner klar identifizierbaren Rasse. Einer von ihnen war pechschwarz und sah aus wie eine Kreuzung zwischen einem Bullterrier und einem Fleischwolf. Der andere wirkte wie ein Hund, der den Namen »Schlächter« trug. Aufgrund der sehr langen Reißzähne schien es, als betrachte er die Welt durch ein Gitter. Dazu hatte er krumme Beine – obwohl es sehr dumm oder sogar fatal gewesen wäre, ihn darauf anzusprechen.
Gaspodes Schwanz vibrierte nervös.
»Das sind meine Freunde, der Schwarze Roger und…«
»Schlächter?« vermutete Angua.
»Woher weißt du das?«
»Hab’ nur geraten.«
Die beiden großen Hunde blieben rechts und links von ihnen stehen.
»Na so was«, sagte der Schwarze Roger. »Wen haben wir denn hier?«
»Sie heißt Angua«, erwiderte Gaspode. »Und sie ist ein…«
»Wolfshund«, sagte Angua.
Die beiden Hunde schlichen um sie herum.
»Weiß der Große Fido von ihr?« fragte der Schwarze Roger.
»Ich wollte gerade…«, begann Gaspode.
»Du wolltest uns bestimmt begleiten«, unterbrach ihn der Schwarze Roger. »Heute abend findet eine Gildenversammlung statt.«
»Klar, natürlich«, erwiderte Gaspode hastig. »Kein Problem.«
Ich könnte mit ihnen fertig werden, dachte Angua. Aber nicht mit beiden gleichzeitig.
Ein Werwolf verfügte über genug Kiefernkraft, um jemandem in ein, zwei Sekunden die Halsschlagader zu zerfetzen. Anguas Vater hatte sich besonders gut darauf verstanden und diesen Trick recht häufig angewendet, worüber sich ihre Mutter besonders ärgerte, wenn er sein diesbezügliches Geschick unmittelbar vor den Mahlzeiten bewies. Was die Tochter betraf… Als überzeugte Vegetarierin konnte sie sich nie dazu durchringen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.
»Hallo«, knurrte Schlächter an ihrem Ohr.
»Keine Sorge«, stöhnte Gaspode. »Der Große Fido und ich… Wir stehen so zueinander.«
»Was versuchst du da? Willst du Krallen überkreuzen? Ich wußte gar nicht, daß Hunde so was können.«
»Können sie auch nicht«, erwiderte Gaspode kläglich.
Andere Hunde kamen aus der Finsternis, als man sie durch Gassen führte, die eigentlich nur noch Spalten zwischen Mauern waren. Schließlich gelangten sie zu einem freien Bereich, der in erster Linie dazu diente, die Gebäude in der Nähe mit Tageslicht zu versorgen. In einer Ecke lag eine Tonne mit einer zerrissenen Decke darin. Daneben und davor warteten Hunde erwartungsvoll. Einige von ihnen hatten nur ein Auge oder ein Ohr. Niemandem mangelte es an Narben. Und alle verfügten über lange, spitze Zähne.
»Wartet hier«, sagte der Schwarze Roger.
»Versucht nicht wegzulaufen«, zischte Schlächter. »Sonst könnte es passieren, daß euch jemand die Eingeweide aus dem Leib reißt.«
Angua senkte den Kopf, bis er sich auf einer Höhe mit Gaspodes befand. Der kleine Hund zitterte.
»In welche Situation hast du mich gebracht?« fragte sie leise. »Dies ist die Hundegilde, nicht wahr? Und sie besteht aus Streunern?«
»Pscht! Sag das bloß nicht! Das sind keine Streuner.« Gaspode sah sich um. »Die Gilde besteht nicht aus
irgendwelchen
Hunden. Nein. Diese Hunde hier sind…« Er senkte die Stimme. »… böse gewesen.«
»Böse?«
»Ja. Böse Hunde. Du weißt schon. Ungezogener Bursche! Willst du wieder den Pantoffel spüren?« Bei Gaspode klang es wie eine schreckliche Litanei. »Alle Hunde, die du hier siehst… Jeder einzelne von ihnen ist von zu Hause abgehauen. Sie sind ihren Eigentümern entwischt.«
»Das ist alles?«
»Ob das alles ist?
Alles?
Ja. Natürlich. Du bist kein Hund in dem Sinne. Deshalb
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