Helle Barden
nachdachte… Der Anführer hatte ähnliche Wesenszüge gehabt wie Karotte. Der junge Korporal paßte in die Stadt wie das Rudeloberhaupt in den Wald.
Hunde waren intelligenter als Wölfe. Wölfe
brauchten
keine Intelligenz. Ihnen standen andere Dinge zur Verfügung. Aber Hunde hatten Intelligenz von den Menschen erhalten. Ob es ihnen gefiel oder nicht. Darüber hinaus waren sie gemeiner und hinterhältiger als Wölfe. Auch diese Eigenschaft stammte von den Menschen.
Fido hingegen verwandelte den Haufen Streuner in etwas, das Unwissende für ein Wolfsrudel hielten: in eine pelzbesetzte Tötungsmaschine.
Angua sah sich um.
Große Hunde, kleine Hunde, dicke Hunde, dürre Hunde. Sie alle lauschten mit glänzenden Augen, während der Pudel sprach.
Über Schicksal.
Über Disziplin.
Über die natürliche Überlegenheit der Spezies Hund.
Über Wölfe. Doch die Vorstellungen, die sich der Große Fido von Wölfen machte, unterschieden sich von der Angua bekannten Realität. Die Wölfe in den Träumen des Großen Fido waren größer, wilder und klüger. Er beschrieb sie als Könige des Waldes, als Schrecken der Nacht. Ihre Namen lauteten Schnellbeiß und Silberrücken. Sie stellten etwas dar, das sich jeder Hund wünschte.
Der Große Fido hatte Angua akzeptiert. Sie sah einem Wolf sehr ähnlich, wie er meinte.
Wie gebannt hörten die versammelten Hunde einem kleinen weißen Pudel zu, der nervös furzte, während er seine Rede fortsetzte, und behauptete, Hunde seien nach ihrer Natur eigentlich größer. Angua hätte am liebsten laut gelacht; sie blieb nur deshalb stumm, weil sie wußte, daß sie kaum mit dem Leben davongekommen wäre.
Sie beobachtete, was mit einer kleinen, rattenartigen Promenadenmischung geschah, die von einigen Terriern zur Mitte des freien Bereichs gezerrt wurde. Ihr wurde vorgeworfen, einen weggeworfenen Stock geholt zu haben. Die Strafe… Nicht einmal Wölfe taten sich so etwas an. Bei Wölfen gab es keine Verhaltensregeln. Das war auch gar nicht nötig. Wölfe brauchten keine Vorschriften, die richtiges Wolfsein betrafen.
Nach der Exekution kehrte Angua zu Gaspode zurück, der in einer Ecke hockte und versuchte, möglichst unauffällig zu sein.
»Verfolgen sie uns, wenn wir jetzt verschwinden?« fragte sie.
»Das glaube ich nicht. Die Versammlung ist vorbei.«
»Gut. Dann komm.«
Sie schlenderten in eine Gasse – und liefen los, als sie sicher sein konnten, daß niemand auf sie achtete.
»Meine Güte«, sagte Angua, als mehrere Straßen zwischen ihnen und der Meute lagen. »Er ist wahnsinnig, nicht wahr?«
»Nein«, widersprach Gaspode. »Wahnsinn bedeutet Schaum vorm Mund. Der Große Fido ist vollkommen ausgerastet. Und das bedeutet Schaum im Gehirn.«
»All der Unsinn über Wölfe…«
»Ich nehme an, jeder Hund hat das Recht, ein wenig zu träumen«, erwiderte Gaspode.
»Aber Wölfe sind ganz anders! Sie haben keine Namen!«
»Jeder hat einen
Namen
.«
»Wölfe nicht. Warum auch? Sie wissen, wer sie sind, und sie wissen auch, aus wem der Rest des Rudels besteht. Sie erkennen sich mit… den Sinnen. Geruch, Gefühl, Gehör. Wölfe haben nicht einmal ein Wort für Wölfe! Bei ihnen ist das ganz anders. Namen sind eine Erfindung der Menschen!«
»Hunde haben Namen«, meinte Gaspode. »
Ich
habe einen. Er lautet Gaspode. Ja, das ist mein Name«, fügte er leise und ein wenig verlegen hinzu.
»Nun, ich kann’s nicht erklären«, entgegnete Angua. »Aber Wölfe haben keine Namen.«
Der Mond stand hoch an einem Himmel, der so schwarz war wie ein Becher mit nicht sehr schwarzem Kaffee.
Sein Licht verwandelte die Stadt in ein Netz aus Linien und Schatten.
Der Kunstturm hatte einst die Mitte der Stadt markiert, aber Städte wandern langsam, und jetzt befand sich das Zentrum von Ankh-Morpork einige hundert Meter entfernt. Doch der Turm dominierte die Metropole nach wie vor. Dunkel ragte er in den Abendhimmel und versuchte, schwärzer auszusehen, als es gewöhnliche Schatten zuließen.
Das leise
Klicken
von Metall auf Gestein erklang. Wer in unmittelbarer Nähe des Turms stand und in die richtige Richtung sah, konnte erkennen, daß ein Fleck aus besonders finsterer Finsternis der Spitze des Turms entgegenstrebte.
Für einen Sekundenbruchteil spiegelte sich der Mondschein in einem langen, dünnen Metallrohr, das sich die Gestalt an einem Riemen über die Schulter gehängt hatte. Unmittelbar darauf verschwanden Metallrohr und Gestalt wieder in der Dunkelheit.
Die Fenster
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