Helle Barden
das Gfähr zwischen ihnen. Später dachte Mumm, daß es kaum etwas Dümmeres gab, als gegen einen Assassinen zu kämpfen. Die Burschen hatten überall Waffen stecken. Aber Kreuz wollte das Gfähr einfach nicht loslassen. Seine Hände blieben darum geschlossen, und er trachtete danach, Lauf oder Kolben gegen Mumms Schädel zu rammen.
Seltsamerweise war kaum ein Assassine erfahren im unbewaffneten Kampf. Unter normalen Umständen brauchten sie solche Kenntnisse auch nicht, weil sie Meister des bewaffneten Kampfes waren. Feine Herren benutzten Waffen; nur der Pöbel kämpfte mit bloßen Händen.
»Ich habe dich
erwischt
«, schnaufte Mumm. »Du bist
verhaftet!
Hörst du? Finde dich endlich damit ab,
verhaftet
zu sein.«
Aber Kreuz ließ nicht los. Und Mumm
wagte
nicht, das Gfähr loszulassen, aus Furcht davor, daß es auf ihn zielte. Vier Arme zogen daran, zerrten es grimmig hin und her.
Es krachte.
Eine rote Flamme leckte aus dem Lauf. Etwas traf Mumms Helm, prallte ab und raste zur Decke.
Der Hauptmann starrte in die Grimasse des Professors, senkte den Kopf und zog mit aller Kraft am Gfähr.
Der Assassine stöhnte schmerzerfüllt, ließ los und tastete nach seiner blutenden Nase. Mit der Waffe in beiden Händen rollte Mumm nach hinten.
Das Gfähr bewegte sich. Plötzlich ruhte der Kolben an seiner Schulter, und der Zeigefinger berührte den Abzug.
Du gehörst mir.
Wir brauchen ihn nicht mehr.
Die Stimme ließ den Hauptmann unwillkürlich aufschreien.
Nachher schwor er, daß er den Abzug überhaupt nicht gezogen hatte. Er bewegte sich von ganz allein und nahm den Zeigefinger mit. Das Gfähr schlug ihm an die Schulter, und in der Wand über dem Kopf des Assassinen entstand ein fünfzehn Zentimeter großes Loch. Putz rieselte auf Kreuz hinunter.
Roter Dunst wallte vor Mumms Augen, und durch diesen Nebel beobachtete er, wie der Professor zur Tür taumelte und sie hinter sich zufallen ließ.
Alle Dinge, die du haßt und für falsch hältst – ich kann sie in Ordnung bringen.
Mumm erreichte die Tür und drehte den Knauf. Verriegelt.
Er richtete das Gfähr aus, ohne dabei zu denken, und einmal mehr bewegte der Abzug seinen Zeigefinger. Ein großer Teil der Tür und des Rahmens verwandelte sich in ein von Holzsplittern gesäumtes Loch.
Mumm trat den Rest fort und folgte dem Gfähr.
Er befand sich jetzt in einem Korridor. Zehn oder mehr junge Männer starrten verblüfft aus halbgeöffneten Pforten. Alle trugen schwarze Kleidung.
Dies war die Assassinengilde.
Ein Assassinenschüler musterte Mumm mit seinen Nasenlöchern.
»Wer bist du, wenn ich fragen darf?«
Das Gfähr schwang herum, und der Hauptmann riß es gerade noch rechtzeitig nach oben. Diesmal schlug der Bleiklumpen ein Stück aus der Decke.
»Ich bin das
Gesetz,
ihr verdammten
Mistkerle
!« rief Mumm.
Die jungen Assassinen starrten ihn groß an.
Erschieß sie alle. Säubere die Welt.
»Sei still!« Mumm trug eine ziemlich dicke Patina aus Staub und Schleim, und in seinen Augen glimmte es. Vielleicht hielten sie ihn für
etwas
aus den Kerkerdimensionen.
Der Schüler vor ihm zitterte.
»Wohin ist Kreuz gelaufen?« Rauch umwogte sein Haupt. Es kostete ihn große Mühe, nicht zu schießen.
Der junge Mann deutete zu einer Treppe. Er stand fast direkt unter dem Loch in der Decke. Mörtelstaub ruhte wie die Schuppen des Teufels auf seinen Schultern.
Erneut sauste das Gfähr los und zog Mumm mit sich, vorbei an dem Schüler und die Treppe hoch, auf deren Stufe kleine Schlammbrocken eine verräterische Spur bildeten. Er gelangte in einen anderen Flur.
Auch hier öffneten sich die Türen. Sie schlossen sich wieder, als das Gfähr donnernd einen Kronleuchter von der Decke holte.
Der Korridor endete an einer wesentlich breiteren Treppe. Oben ragte eine Tür aus massivem Eichenholz empor.
Ein Schuß erledigte das Schloß, und ein Stiefel trat die Tür auf. Unmittelbar darauf leistete Mumm dem Gfähr ausreichend Widerstand, um sich ducken zu können. Ein Armbrustbolzen raste über ihn hinweg und traf jemanden weiter hinten im Flur.
Erschieß ihn! ERSCHIESS IHN!
Kreuz stand an seinem Schreibtisch und bemühte sich fieberhaft, die Armbrust neu zu laden…
Mumm versuchte, die fremde Stimme zu ignorieren.
Doch warum sollte er nicht auf sie hören? Lohnte es sich etwa, diesen Mann zu schonen? Es war immer sein Wunsch gewesen, die Stadt in einen besseren Ort zu verwandeln, und hier bot sich ihm ein Anfang. Dann würden die Leute bald merken, was es
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