Helle Barden
neumodische ikonographische Bilder präsentierten die Gilde: lange Reihen von lächelnden Gesichtern über schwarzen Kutten. Die jüngsten Assassinen saßen vorn im Schneidersitz, und einer von ihnen schnitt eine Grimasse 6 .
Vor der einen Wand erstreckte sich ein langer Mahagonitisch, an dem sich die Ältesten der Gilde einmal pro Woche versammelten. Die andere Seite des Raums enthielt Kreuz’ private Bibliothek und eine kleine Werkbank. Darüber hing ein Arzneischrank mit Hunderten von kleinen Schubladen. Die Schilder darauf waren im Assassinencode beschriftet, aber Fremde wären ohnehin nicht auf den Gedanken gekommen, hier nach einem Mittel gegen Kopfschmerzen zu suchen.
Vier Säulen aus schwarzem Granit stützten die Decke. Hineingemeißelt waren die Namen berühmter Assassinen aus vergangenen Epochen. Kreuz’ Schreibtisch stand so, daß die Säulen genau an den vier Ecken aufragten. Dort wartete das Gildenoberhaupt und sah den Neuankömmlingen entgegen.
»Ich möchte, daß ein Anwesenheitsappell durchgeführt wird«, sagte er scharf. »Hat jemand das Gelände verlassen?«
»Nein, Herr.«
»Wie kannst du da so sicher sein?«
»Die Wächter auf den Dächern in der Filigranstraße haben niemanden gesehen, der die Gilde betrat oder verließ.«
»Wer beobachtet die Wächter?«
»Sie beobachten sich gegenseitig, Herr.«
»Na schön. Hört gut zu. Ich möchte, daß alles in Ordnung gebracht wird. Falls jemand aus irgendwelchen Gründen das Gelände verlassen muß, wird er begleitet, klar? Niemand geht allein irgendwohin. Außerdem veranlasse ich hiermit eine gründliche Durchsuchung des Gebäudes. Habt ihr verstanden?«
»Wonach soll gesucht werden, Professor?«
»Nach allem, das… versteckt ist. Wenn ihr etwas findet und nicht wißt, was es damit auf sich hat, benachrichtigt sofort den Rat. Und rührt das Ding nicht an.«
»Aber Professor, im Gildenhaus sind zahllose Dinge versteckt…«
»
Dieses
versteckte Ding ist anders als alle anderen versteckten Dinge, kapiert?«
»Nein, Herr.«
»Gut. Und kein Wort davon zu den blöden Wächtern. Du, Junge… bring mir meinen Hut.« Professor Kreuz seufzte. »Ich schätze, ich muß dem Patrizier Bescheid geben.«
»Tut mir leid, Herr.«
Der Hauptmann schwieg, bis sie die Messingbrücke überquert hatten.
»Nun, Korporal Karotte«, sagte er, »ich habe dich mehrmals darauf hingewiesen, wie wichtig das Beobachten ist, nicht wahr?«
»Ja, Hauptmann. Deinen diesbezüglichen Bemerkungen habe ich immer große Beachtung geschenkt.«
»Na schön. Was hast du also beobachtet?«
»Ein Spiegel ging zu Bruch. Alle wissen, daß Assassinen Spiegel mögen. Aber wenn jener Raum eine Art Museum ist… Wieso befand sich dort ein Spiegel?«
»Bitte, Herr.«
»Wer hat das gesagt?«
»Ich. Hier unten. Ich bin’s, Obergefreiter Knuddel.«
»Oh, ja. Ja?«
»Ich kenne mich ein bißchen mit Feuerwerkskörpern aus. Wenn sie abbrennen oder explodieren, entsteht ein ganz besonderer Geruch. Der fehlte bei der Gilde. Dort hat’s ganz anders gestunken.«
»Gut… gerochen, Knuddel.«
»Und dort lag ein halb verbranntes Seil mit Rollen dran.«
»Ich habe Drachen gerochen«, sagte Mumm.
»Im Ernst, Hauptmann?«
»Ja.« Mumm verzog das Gesicht. Wer etwas Zeit in der Gesellschaft von Lady Käsedick verbrachte, fand schnell heraus, wie Drachen rochen. Wenn der erstaunte Besucher beim Essen plötzlich einen schuppigen Kopf auf dem eigenen Schoß vorfand, versuchte er, die Ruhe zu bewahren und ihm den einen oder anderen Leckerbissen zu geben – in der Hoffnung, daß der Sumpfdrache keinen Schluckauf bekam.
»In dem Zimmer stand ein gläserner Behälter«, fuhr Mumm fort. »Er wurde zertrümmert. Ha! Um etwas zu stehlen. Draußen auf dem Hof lag ein Stück Pappe, aber jemand ließ es verschwinden, als ich mit dem alten Kreuz sprach. Hundert Dollar gäbe ich, um zu erfahren, was darauf geschrieben stand.«
»Warum, Hauptmann?« fragte Karotte.
»Weil der verdammte Kreuz etwas verheimlicht.«
»Ich weiß, wodurch das Loch in der Wand entstanden sein könnte«, warf Angua ein.
»Ach?«
»Durch einen explodierenden Drachen.«
Während der nächsten Schritte herrschte verblüfftes Schweigen.
»Das wäre möglich, Hauptmann«, sagte der loyale Karotte. »Manchmal platzen die kleinen Teufel schon auseinander, wenn sie sich nur erschrecken.«
»Ein Drache«, murmelte Mumm. »Wie kommst du darauf, Obergefreite Angua?«
Angua zögerte. Die Antwort »Ein Hund hat’s mir
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