Helle Barden
das an! Kein Wunder, daß er kein Geld hat.«
»Was meinst du?«
»Er gibt seinen Sold für Frauen aus! Ist das zu fassen? Sieh dir diese Einträge an. Vier in einer Woche!«
Karotte sah seiner Kollegin über die Schulter, während Mumm weiterschnarchte.
In der krakeligen Handschrift des Hauptmanns offenbarte das Buch folgende Liste:
Frau Schenkel, Zimperlichgasse: 5 $
Frau Hurtig, Sirupstraße: 4 $
Frau Kastanie, Kohlkrautgasse: 4 $
Annabel Curry, Tölpelpflaster: 2 $
»Mit Annabel Curry kann nicht viel los gewesen sein«, sagte Angua. »Sie hat nur zwei Dollar bekommen.«
Die Temperatur im Zimmer schien plötzlich zu sinken.
»Da hast du recht«, erwiderte Karotte langsam. »Immerhin ist Annabel erst neun Jahre alt.« Mit der einen Hand griff er nach Anguas Arm, mit der anderen zog er ihr das Buch aus den Fingern.
»He, laß los!«
»Feldwebel!« rief Karotte über die Schulter. »Würdest du bitte mal kommen?«
Angua versuchte, sich loszureißen. Aber Karottes Hand war ein Schraubstock.
Die Treppenstufen knirschten unter Colons Schritten, und kurz darauf öffnete sich die Tür.
Er hielt einen kleinen Becher mit einer Zange.
»Nobby hat den Kaffee gebr…«, begann er und brach dann ab.
Karotte bedachte die junge Frau mit einem strengen Blick. »Feldwebel, Obergefreite Angua würde gern über Frau Schenkel Bescheid wissen.«
»Die Witwe des alten Laufviel Schenkel? Wohnt in der Zimperlichgasse.«
»Und Frau Hurtig?«
»Die in der Sirupstraße? Ist Wäscherin geworden.« Feldwebel Colon musterte die beiden jungen Leute und versuchte, ein Gefühl für die Situation zu bekommen.
»Und Frau Kastanie?«
»Die Witwe von Feldwebel Kastanie. Verkauft Kohle in…«
»Und Annabel Curry?«
»Sie besucht noch immer die Barmherzigkeitsschule der Gehässigen Schwestern des siebenhändigen Sek.« Colon sah Angua an und lächelte nervös – er hatte noch immer keinen Schimmer, was dies alles zu bedeuten hatte. »Sie ist die Tochter von Korporal Curry, aber das war vor deiner Zeit…«
Angua musterte Karotte; dessen Gesicht blieb ausdruckslos.
»Die Witwen von Wächtern?« erkundigte sie sich.
Karotte nickte. »Und eine Waise.«
»Ist ein hartes Leben«, sagte Colon. »Witwen bekommen keine Pension.«
Wieder huschte sein Blick zwischen Angua und Karotte hin und her.
»Stimmt was nicht?« fragte er.
Karotte ließ die junge Frau los, legte das Buch in die Truhe und schloß den Deckel.
»Alles in Ordnung«, sagte er.
»Es tut mir l…«, begann Angua. Karotte ignorierte sie und nickte dem Feldwebel zu.
»Gib ihm den Kaffee.«
»Aber… vierzehn Dollar… das ist fast der halbe Sold!«
Karotte griff nach Mumms schlaffem Arm und versuchte, die immer noch geballte Faust zu öffnen – vergeblich. Der Hauptmann schlief zwar tief und fest, aber seine Hand blieb wie im Krampf geschlossen.
»Ich meine, der
halbe
Sold!«
»Was er da wohl so verzweifelt festhält?« murmelte Karotte. »Vielleicht gibt es uns einen Hinweis.«
Er nahm den Kaffee und zog Mumm am Kragen hoch.
»Trink das, Hauptmann«, sagte er. »Dann sieht alles viel… klarer aus.«
Klatschianischer Kaffee wirkt ernüchternder als der überraschende Besuch von Steuerfahndern. Kaffeeliebhaber verzichten nie auf die Vorsichtsmaßnahme, ordentlich betrunken zu sein, bevor sie von dieser ganz speziellen Spezialität kosten. Klatschianischer Kaffee macht nicht nur nüchtern. Er bringt einen
auf die andere Seite der Nüchternheit,
wo das menschliche Bewußtsein nie weilen sollte. Nach Nobbys und Colons Ansicht war Samuel Mumm normalerweise mindestens zwei Drinks im Minus, und brauchte einen ordentlichen Doppelten, um auch nur
nüchtern
zu werden.
»Langsam… langsam…« Karotte ließ einige Tropfen zwischen Mumms Lippen fallen.
Angua nahm einen neuerlichen Anlauf. »Hör mal, als ich vorhin sagte…«
»Schon gut.« Karotte drehte sich nicht einmal um.
»Ich wollte nur…«
»Schon
gut
.«
Mumm öffnete die Augen, erblickte die Welt und schrie.
»Nobby!« rief Colon.
»Ja, Feldwebel?«
»Was hast du besorgt? Heiße Rote Wüste oder Ringelberg Pur?«
»Rote Wüste, Feldwebel. Weil…«
»Darauf hättest du gleich hinweisen sollen.« Colon blickte in das von Entsetzen geprägte Gesicht des Hauptmanns. »Hol ein halbes Glas Bärdrückers Leckertropfen. Wir haben ihn zu weit auf die andere Seite geschickt.«
Das Glas wurde geholt und sein Inhalt als Medizin verabreicht. Mumm entspannte sich, als die Flüssigkeit ihre Wirkung
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