Hell's Angels (German Edition)
Berkeley liegt direkt neben Oakland, auf dem Stadtplan sieht man dazwischen nur eine Linie und ein paar Straßennamen, aber in vieler Hinsicht sind diese beiden Orte so verschieden wie Manhattan und die Bronx. Berkeley ist eine Collegestadt und wie Manhattan ein Anziehungspunkt für Intellektuelle. Oakland hingegen ist eher ein Anziehungspunkt für Leute, die einen nach Stunden bezahlten Job und eine preiswerte Wohnung suchen, für Leute, die es sich nicht leisten können, in Berkeley, San Francisco oder einem der Mittelschichtsvororte der Bay Area zu wohnen. 57 Es ist eine laute, hässliche, heruntergekommene Stadt mit einem Charme, der vergleichbar dem von Chicago ist. Und es ist ein Biotop für Outlaws, Schläger, Jugendbanden und Rassenkonflikte.
Die massive Hell’s-Angels-Publicity – die dem ebenfalls fette Schlagzeilen machenden Studentenaufstand von Berkeley auf dem Fuße folgte – wurde in liberalen und radikalen Intellektuellenkreisen als Indiz für ein natürliches Bündnis gedeutet. Außerdem übte die aggressive, asoziale Haltung der Angels – ihre Entfremdung – auf das eher feinsinnig gestimmte Berkeleyer Temperament einen immensen Reiz aus. Studenten, die kaum wagten, eine Petition zu unterschreiben oder einen Schokoriegel zu klauen, waren fasziniert von Erzählungen über Hell’s Angels, die ganze Ortschaften niederrissen und sich einfach nahmen, was sie haben wollten. Vor allem ging den Angels der Ruf voraus, dass sie der Polizei trotzten und sich erfolgreich gegen Autoritäten auflehnten, und für die frustrierten, radikalisierten Studenten war das ein wirklich eindrucksvolles Bild. Die Angels onanierten nicht, sie vergewaltigten. Sie kamen nicht mit Theorien, Liedern und Zitaten an, sondern mit Getöse, Muckis und Mumm.
Diese Zeit der Harmonie währte gut drei Monate und endete abrupt am 16. Oktober, als die Hell’s Angels an der Stadtgrenze von Oakland und Berkeley einen Demonstrationszug gegen den Vietnamkrieg angriffen. Die existenziellen Helden, die auf Keseys Partys mit Berkeleyer Liberalen gekifft hatten, verwandelten sich mit einem Mal in Bestien, die mit dreschenden Fäusten und den Rufen »Verräter!«, »Kommunisten!«, »Beatniks!« über eben jene Liberale herfielen. Wenn es ernst wurde, standen die Hell’s Angels genau auf einer Linie mit der Polizei, dem Pentagon und der John Birch Society. Es war kein schöner Tag in Berkeley, denn K. C. Brown war anscheinend verrückt geworden.
Dieser Angriff war ein furchtbarer Schock für all jene, die in den Hell’s Angels Fackelträger des Menschheitsfortschritts
gesehen hatten, für jeden aber, der sie kannte, schlicht ein logischer Schritt. Der kollektive Standpunkt der Angels ist seit jeher faschistoid, auch wenn sie darauf beharren, ihr Hakenkreuz-Fetisch sei nur ein asozialer Gag, mit dem sich Spießer und Steuerzahler garantiert auf die Palme treiben lassen – all jene, die sie gehässig als »Bürger« bezeichnen. In Wirklichkeit meinen sie damit die Mittelschicht, die Bourgeoisie – aber diese Begriffe sind den Angels fremd, und sie sind misstrauisch jedem gegenüber, der versucht, sie ihnen zu erklären. Wenn sie wirklich einfallsreich beim Piesacken der Spießer sein wollten, würden sie das mit den Hakenkreuzen sein lassen und ihre Motorräder mit Hammer und Sichel schmücken. Dann wäre auf den Freeways erst recht die Hölle los – hunderte kommunistische Schlägertypen brausen auf schweren Motorrädern quer durchs Land, immer auf der Suche nach Ärger.
Zu dem ersten Zusammenstoß kam es an einem Samstagnachmittag – mit einem Demonstrationszug, der auf halber Strecke zwischen dem Berkeleyer Campus und dem Oaklander Army-Terminal war, von dem aus Männer und Material nach Fernost verschifft wurden. Gut fünfzehntausend Demonstranten marschierten die Telegraph Avenue hinab, eine der Hauptstraßen von Berkeley, und standen dann – an der Stadtgrenze – einer vierhundert Mann starken Mauer aus Oaklander Polizisten gegenüber, die Helme trugen und erhobene Schlagstöcke hielten. Sie waren in Keilformation aufgestellt, und Polizeichef Toothman befand sich in der Mitte, in der Position des ballbesitzenden Spielers, und sprach Befehle in zahlreiche Handfunkgeräte. Es war offensichtlich, dass der Demonstrationszug nicht kampflos nach Oakland vordringen würde. Ich näherte mich der Konfrontation von
der Oaklander Seite aus, aber selbst mit einem Tonbandgerät, einer Kamera und einem Presseausweis dauerte es
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