Hell's Angels (German Edition)
siebenjährigen Amtszeit um siebzig Prozent in die Höhe geschossen war.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht ersichtlich, inwiefern es irgendeinen Einfluss auf die Sicherheit und den Seelenfrieden des Durchschnittskaliforniers hätte, würde man sämtliche Motorrad-Outlaws des Bundesstaates (nach Polizeiangaben insgesamt 901 Personen) binnen vierundzwanzig Stunden von der Bildfläche verschwinden lassen.
Wenn die »Hell’s-Angels-Saga« irgendetwas bewies, dann die gewaltige Macht des New Yorker Presse-Establishments. Die Hell’s Angels in ihrer heutigen Form wurden buchstäblich von Time, Newsweek und der New York Times erschaffen. Die New York Times ist das Flaggschiff des amerikanischen Journalismus, und bei neun von zehn Berichten wird das Blatt seinem Ruf gerecht. Die Redakteure erheben allerdings keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit, und gelegentlich greifen sie auch mal richtig daneben. Es wäre sinnlos, wollte man versuchen, diese Patzer
aufzulisten, und außerdem verfolgen diese Auslassungen hier nicht den Zweck, eine bestimmte Zeitung oder Zeitschrift anzuprangern – sondern weisen auf die womöglich gravierenden Auswirkungen einer Story hin, die in ihrer Grundstruktur nicht nur von Time und Newsweek gebilligt und verbreitet wird, sondern auch von der äußerst angesehenen New York Times . Die Times nahm den Lynch-Bericht für bare Münze und druckte ihn einfach so in gekürzter Form ab. Die Schlagzeile lautete: KALIFORNIEN BEKÄMPFT TERROR DURCH MOTORRADBANDEN. Der Artikel entsprach größtenteils den Tatsachen, aber die Einleitung war frei erfunden: »Ein Lokal im Hinterland wird von einer Gruppe Motorrad fahrender Rowdys überfallen. Sie verschleppen eine Frau und vergewaltigen sie. Bei ihrem Aufbruch fuchteln sie mit Waffen und drohen den Umstehenden furchtbare Vergeltung an, sollten sie von dem Geschehen berichten. Die Behörden haben Schwierigkeiten, einen aussagewilligen Zeugen zu finden, noch weniger ist es bisher gelungen, die Täter festzunehmen und strafrechtlich zu verfolgen.«
Dieser Zwischenfall hat nie stattgefunden. Er wurde von dem Korrespondenten, der den Bericht zusammenfasste, in einer Art journalistischer Montage frei erfunden. Nun wird die New York Times ja weder von Idioten geschrieben noch von Idioten redigiert, und jeder, der schon einmal länger als zwei Monate bei einer Zeitung gearbeitet hat, weiß, wie man auch noch in die verwegenste Story gewisse sprachliche Sicherheitsmaßnahmen einbauen kann, ohne damit die Wirkung der Story auf den Leser zu schmälern. Dabei geht es um die Kunst, eine Story zu bringen, ohne Gewähr für sie zu übernehmen. Ein Schlüsselwort lautet hier »angeblich«. Weitere Schlüsselworte sind: »Soundso sagte« (oder »behauptete«),
»wie berichtet wurde« und »nach Angaben von«. In vierzehn kurzen Zeitungsabsätzen enthielt der Bericht der Times neun derartige Ausdrücke. Die beiden folgenreichsten betrafen die Hollywood-Einleitung und die »›angebliche‹ Gruppenvergewaltigung zweier Mädchen, 14 und 15 Jahre alt, am vergangenen Labour Day durch fünf bis zehn Mitglieder der Hell’s-Angels-Bande am Strand von Monterey« (Kursivierung von mir, H. S. T.). Nirgends in dem Artikel wurde auch nur erwähnt, dass die in Monterey erhobenen Anschuldigungen längst fallen gelassen worden waren.
Das Ergebnis war ein vor gedanklicher Faulheit und emotionaler Voreingenommenheit förmlich triefender journalistischer Text, ein zusammengestoppeltes Machwerk, das keinerlei Wellen geschlagen hätte, wäre es in den meisten anderen Zeitungen der USA erschienen. Aber die New York Times ist nun mal ein Schwergewicht, auch wo sie irrt, und dieser Artikels bewirkte, dass eine Geschichte, die in Wirklichkeit ein hysterischer, politisch motivierter Ausrutscher war, das Siegel der Seriosität aufgedrückt bekam.
Die in New York ansässigen Massenmedien wären selbst dann auf die Geschichte angesprungen, wenn Time und Newsweek sie nie angerührt hätten. Die führende Zeitung des Landes hatte ein gesellschaftliches Krebsgeschwür entdeckt. Und dann, eine Woche später, kam der Time/Newsweek -Doppelschlag, der die Hell’s Angels erst recht in ungeahnte Höhen katapultierte. Es folgte eine Publicity-Orgie. Die lange im Verborgenen wirkenden Hell’s Angels holten nun binnen sechs Monaten das nach, was ihnen achtzehn Jahre lang an Aufmerksamkeit seitens der Medien entgangen war, und das stieg ihnen natürlich zu Kopf.
Bis zu der Vergewaltigung von Monterey waren sie
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