Hell's Angels (German Edition)
Kinder – die ganzen friedlichen Extras, die für ein Gefühl der Sicherheit sorgen. Aber nicht alle dachten so. Wie die Drifter, die nach der Kapitulation von Appomattox nach Westen ritten, gab es 1945 tausende Veteranen, die sich rundheraus weigerten, ihr Vorkriegsleben wieder aufzunehmen. Sie wollten keine Ordnung, sie wollten ungestört sein – und Zeit haben, über alles nachzudenken. Es war eine zehrende Unruhe, eine scheußliche Art von Angst, wie sie nach einem Krieg immer zurückbleibt. Ein beschleunigtes Zeitempfinden hart am Rande des Fatalismus. Sie wollten etwas tun, etwas erleben, und eine Möglichkeit dazu bestand darin, sich auf ein schweres Motorrad zu schwingen. Schon 1947 wimmelte es in ganz Kalifornien von Motorrädern, fast ausschließlich schwere Maschinen amerikanischer Fabrikate, von Harley-Davidson und Indian. 12
Zwei Dutzend chromglänzende, gestrippte Harleys füllten den Parkplatz einer Bar namens El Adobe. Die Angels brüllten, lachten und tranken Bier – und beachteten die beiden halbwüchsigen Jungen gar nicht, die verängstigt guckend am Rand der Gruppe standen. Schließlich sprach einer der Jungen einen hageren, bärtigen Outlaw namens Gut an: »Eure Maschinen gefallen uns, Mann. Die sind echt stark.« Gut sah erst ihn, dann die Motorräder an. »Freut mich, dass sie euch gefallen«, sagte er. »Die sind alles, was wir haben.« – September 1965
Die Hell’s Angels der Sechzigerjahre interessieren sich nicht groß für ihre Herkunft oder ihre geistigen Vorfahren. »Die Typen sind nicht mehr unter uns«, erzählte mir Barger. Einige waren es durchaus noch – nur war es 1965 schon schwierig, sie aufzuspüren. Einige waren tot, andere im Gefängnis, und die ein bürgerliches Leben angefangen hatten, wollten kein öffentliches Aufsehen. Einer der wenigen, die ich ausfindig machen konnte, war Preetam Bobo. Ich traf ihn eines Samstagnachmittags im Yachthafen von Sausalito, auf der anderen Seite der Bucht, gegenüber von San Francisco, als er gerade seine Zwölf-Meter-Slup für eine Kreuzfahrt in die Karibik bereitmachte. Seine Crew auf dieser Fahrt, erzählte er, würde aus seinem sechzehnjährigen Sohn, zwei seetüchtigen Hell’s Angels und seiner wunderschönen blonden britischen Freundin bestehen, die sich in einem blauen Bikini an Deck ausgestreckt hatte. Preetam ist einer der beiden letzten noch lebenden Gründungsmitglieder des Frisco-Chapters der Angels. Der andere, Frank, hat sich nach sieben Jahren als Frisco-Präsident aus der Welt der Outlaws zurückgezogen und surft heute im Südpazifik. Frank ist der George Washington der Hell’s-Angels-Welt; sein Name wird mit Ehrfurcht genannt, bei anderen Chapters ebenso wie in Frisco. »Er war der beste Präsident, den wir je hatten«, sagen sie. »Er hat uns zusammengehalten, und er war gut für uns.« Frank hatte Klasse, und er hat viele Moden begründet – von dem goldenen Ohrring über den lila gefärbten Bart bis hin zu dem Nasenring zum Anstecken, den er jedes Mal trug, wenn er das entsprechende Publikum hatte. Während seiner gesamten Regentschaft, von 1955 bis 1962, arbeitete er Vollzeit als geachteter Kameramann, aber er brauchte mehr Action als irgendein Job bieten konnte. Dafür hatte er die Angels, ein Vehikel
für seinen Humor und seine Fantasien, ein Sandsack für sämtliche Aggressionen und ab und an die Möglichkeit, wie ein säbelrasselnder Golem aus dem Alltagstrott auszubrechen und Leuten, die er anders nicht erreichen konnte, wenigstens einen kleinen Schock zu versetzen. Frank war derart hip, dass er runter nach Hollywood fuhr und das blau-gelb gestreifte Sweatshirt kaufte, das Lee Marvin in The Wild One getragen hatte. Frank trug es, bis es in Fetzen hing, und nicht nur bei Fahrten und Partys. Wenn er fand, die Angels würden übermäßig von der Polizei drangsaliert, tauchte er im Büro des Polizeipräsidenten auf, trug dabei sein Hollywoodhemd und forderte Gerechtigkeit. Wenn das nichts brachte, ging er zur American Civil Liberties Union – ein Schritt, den der Oaklander Barger wegen vermeintlicher »kommunistischer« Implikationen überhaupt nicht guthieß. Im Gegensatz zu Barger verfügte Frank über einen trockenen Humor und einen sehr ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb. In seinen sieben Jahren als Anführer des größten und wildesten Hell’s-Angels-Chapters, das es je gegeben hat, wurde er nicht ein einziges Mal festgenommen und musste nie einen Kampf im eigenen Lager austragen. Auch die
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