Hell's Angels (German Edition)
Stunde, genau am Tempolimit, und das ist das Einzige, was du tun kannst, um den Leuten nicht in die Quere zu kommen. Wenn die Straße ein bisschen nass ist – auch wenn sie nur feucht vom Nebel ist –, hast du ein Problem, egal, was passiert. Wenn du abbremst, hängen sie dir im Nacken oder drängen dich aus der Fahrspur. Wenn du Gas gibst, um dir ein bisschen Platz zu schaffen, steigt irgendein Spinner direkt vor deiner Nase in die Eisen – Gott weiß warum, aber das machen die ständig.
Ein kleiner Zwischenfall reicht, und du gerätst förmlich in den Fleischwolf. Wenn du bremst, hast du schon verloren; Motorräder rutschen ja nicht einfach weiter wie Autos. Und wenn du stürzt, kannst du von Glück sagen, wenn du nur zweimal überfahren wirst.«
Im Jahr 1965 starben in den Vereinigten Staaten über tausend Menschen an den Folgen eines Motorradunfalls. Autounfällen fielen fast fünfzig Mal so viele Menschen zum Opfer, aber die steigende Zahl der Todesfälle durch Motorradunfälle veranlasste die American Medical Association, Motorräder als »ernsthaftes Gesundheitsrisiko für unsere Gemeinden« zu bezeichnen. Die Hell’s Angels
verlieren im Schnitt vier Mitglieder pro Jahr im Straßenverkehr, aber wenn man bedenkt, wie die meisten von ihnen fahren, macht eine jährliche Sterblichkeitsrate von vier Prozent ihrem Können wirklich alle Ehre. Eine Harley 74 ist wahrscheinlich das einzige Motorrad, mit dem man ein Auto ernsthaft beschädigen kann, und ein wagemutig fahrender Hell’s Angel kann andere Verkehrsteilnehmer einschüchtern, als wäre er ein heranrasender Torpedo. Die Outlaws kennen sich mit ihren Böcken aus, und in ihrer eigenen kleinen Welt können sie, wenn es nach ihren Regeln geht, so ziemlich jedem davonfahren.
Ende der Fünfzigerjahre, ehe die Angels so berüchtigt wurden, war Pete aus dem Frisco-Chapter einer der besten Dragracer Nordkaliforniens. Er wurde vom örtlichen Harley-Davidson-Händler gesponsert und heimste ein ganzes Zimmer voll Trophäen ein. Und er trug bei den Rennen nicht nur die Farben der Hell’s Angels, sondern fuhr auch auf seiner Maschine zum Rennen, wobei er seine hübsche blonde Frau auf dem Sozius hatte. Andere Dragster beförderten ihre Bikes auf Anhängern und behandelten sie wie Ming-Vasen.
»Pete konnte wirklich was aus ’nem Bike rausholen«, erinnert sich ein Angel. »Das hatte wirklich Klasse, wie er da immer gewonnen hat. Wenn er zur Rennstrecke kam, Mann, hat er einfach nur seine Zündkerzen gewechselt und dann ist er los – mit hohem Lenker und allem – und hat diese ganzen Drag-Hobel abgehängt.«
Anfang der Sechzigerjahre hörte Pete bei den Angels auf, weil er genug davon hatte. Kurz nach seinem dreißigsten Geburtstag zog er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in eine kleine Ortschaft in den Sierras und versuchte sich dort als friedlicher Dorfmechaniker. Sein Ruhestand hielt ungefähr zwei Jahre lang an und hätte
wohl noch länger angedauert, wenn die Angels nicht so berühmt geworden wären. Die Verlockungen der Publicity und neuer Action waren zu viel für ihn. Anfang 1965 war Pete wieder in der Stadt, stieß mit seinen alten Kumpeln an, ließ seine Familie im Stich und sah sich nach Teilen für ein neues Motorrad um.
Wie die meisten Angels interessiert er sich für das Fabrikprodukt nur hinsichtlich des guten Rohmaterials, das es darstellt, aber nicht als Maschine, die ein Mann, der Klasse hat, tatsächlich besitzen möchte. 22
Die Outlaws neigen dazu, ihre Motorräder als persönlichen Gegenstand zu sehen, erschaffen nach ihrem Bilde. Sie entwickeln eine Zuneigung zu ihnen, die für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen ist. Es wirkt wie eine Pose oder gar eine Perversion – und vielleicht ist es das auch, aber für Motorradfreaks ist es ausgesprochen real. Jeder, der einmal so eine Bestie besessen hat, wird für den Rest seines Lebens eine Schwäche für sie haben. Nicht für die kleinen Böcke, aber für die schweren, teuren, launischen Scheißteile, die aufs Gasgeben reagieren wie ein bockendes Pferd auf die Peitsche, die sich in die Luft erheben und fünf Meter weit auf dem Hinterrad fahren, wobei sie mit einem Feuerstoß aus ihren verchromten Auspuffrohren das Pflaster versengen. Die leichten Maschinen mögen ja vielleicht Spaß machen, wie die Motorradhersteller behaupten, aber VW Käfer und Luftgewehre machen auch Spaß. Bei schweren Motorrrädern, Ferraris und 44er Magnum-Revolvern geht es um mehr als nur um Spaß;
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