Hell's Angels (German Edition)
Hälfte fassender, speziell angefertigter Benzintank, das Entfernen des vorderen Schutzblechs und ein verkürztes oder »gestutztes« hinteres Schutzblech; sehr hoch angebrachte Lenkergriffe und ein kleiner Sitz, der so tief liegt, dass er wie ein Lederpolster auf dem Motor aussieht; eine verlängerte Vordergabel, um den Radabstand zu vergrößern und die Front anzuheben; eine Fußkupplung, auch »Selbstmordkupplung« genannt (weil sie beim Schalten und Bremsen, das beides mit dem linken Fuß erfolgt, sekundengenaue Feinabstimmung erfordert) und eine Vielzahl persönlicher Noten wie lange, nach oben gebogene Auspuffrohre, kleine Doppelscheinwerfer, ein Vorderrad so schmal wie das eines Fahrrads, statt des Beifahrer-Haltegriffs ein in die Höhe ragendes, verchromtes Gestänge am Heck (»Sissy-Bar« genannt) – und alles an Verchromungen und Flammenlackierungen, was man sich nur vorstellen kann.
Ein Chopper ist oft ein richtiges Kunstwerk, und es kostet bis zu 3.000 Dollar, einen zu bauen, die Arbeit nicht eingerechnet. Von den polierten Chromspeichen über das perfekt ausgewuchtete superleichte Schwungrad bis hin zu den zwölf Lackschichten auf dem Tank ist es eine schöne, elegante Maschine und mechanisch so perfekt, dass es schwer fällt sich vorzustellen, wie sie mitten in der Nacht in den Händen eines betrunkenen Rowdys über einen Highway rast, immer um Haaresbreite davon entfernt, mit hohem Tempo an einen Baum oder eine stählerne Leitplanke zu knallen. Das ist eine von vielen Paradoxien im Brauchtum der Hell’s Angels. Was ihnen persönlich an gepflegtem Äußeren abgeht, machen sie
mit ihren Motorrädern absolut wieder wett. Und dennoch zögert keiner von ihnen, eine Maschine, an der er ein halbes Jahr lang gearbeitet hat, binnen Sekunden zu Schrott zu fahren, indem er wie ein Irrer mit Höchstgeschwindigkeit in eine Kurve rast, aus der es einen mit über achtzig Sachen garantiert rausträgt.
So etwas wird als »Highsider« bezeichnet, eine scheußliche Erfahrung, die ein Angel angeblich einmal folgendermaßen beschrieb: »Wir haben alle schon mal einen Highsider hingelegt, Baby. Weißt du, was das ist? Das ist, wenn deine Maschine anfängt wegzurutschen, während du mit 120 Sachen in eine Kurve kachelst. Sie schlittert zur hohen Seite der Kurve, Baby, bis sie da auf einen Randstein, eine Leitplanke oder was auch immer prallt, und dann kippt sie um. So was bezeichnet man dann als klassischen Abflug, Baby.«
Eines Nachts im Winter 1965 legte auch ich auf einer regennassen Straße nördlich von Oakland mit meinem eigenen Motorrad – und einem Beifahrer – einen Highsider hin. Ich fuhr mit ungefähr 120 Sachen und hoch im zweiten Gang in eine offensichtlich gefährliche Kurve. Weil die Straße so feucht war, konnte ich mich nicht genug auf die Seite legen, um mich gegen die immense Fliehkraft anzustemmen, und irgendwo mitten in der Kurve wurde mir klar, dass das Hinterrad nicht mehr dem Vorderrad folgte. Die Maschine schlitterte seitwärts auf die Bahngleise neben der Straße zu, und ich konnte weiter nichts tun als mich festzuhalten. Für einen Moment war es ganz friedlich – und dann war es, als würde ich mit einer Panzerfaust von der Straße geschossen, bloß lautlos. Weder der Hirsch auf dem Hang noch der Mensch auf dem Schlachtfeld hören den Schuss, der sie tötet, und ein Mensch, der auf einem Motorrad einen Highsider hinlegt,
hört die gleiche Art von Hochgeschwindigkeitsstille. Es fliegen Funken, wenn der verchromte Stahl über die Straße schleift, ein schrecklicher Ruck, wenn man nach dem ersten Aufprall anfängt, Rad zu schlagen – und anschließend kommt dann, wenn man Glück hat, gar nichts mehr, bis man in der Notaufnahme irgendeines Krankenhauses wieder zu sich kommt, einem die eigene Kopfhaut in die Augen hängt, das blutgetränkte Hemd einem auf der Brust klebt und dienstlich guckende Menschen auf einen herabstarren und einander versichern: »Diese verrückten Scheißkerle werden es nie lernen.«
Ein schwerer Unfall hat nichts Romantisches an sich, und der einzige Trost ist der betäubende Schock, der meist auf Verletzungen folgt. Mein Beifahrer flog in hohem Bogen von der Maschine, landete auf den Bahngleisen und brach sich dabei den Oberschenkelknochen, wobei die scharfen Knochensplitter durch Muskeln und Fleisch bis auf den feuchten Schotter drangen. Im Krankenhaus mussten sie ihm erst die verschmutzten Bruchstellen reinigen, ehe sie sein Bein wieder zusammensetzten. Aber er
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