Hell's Kitchen
reinigen und nachformen lassen müssen, da er ihm bei dem Satz auf den Boden vom Kopf gefallen und in den Matsch gerollt war. Der Regenmantel war ein echter Burberry. Er trug eine anthrazitfarbene Cordhose mit kastanienbraunen Tupfen und englische Wanderschuhe aus genarbtem Leder. Der Knabe hatte offensichtlich eine gute Ausbildung genossen.
Ich trat hinter ihn, so daß er mich nicht mehr sehen konnte, und ließ ihn hören, wie der Hahn des Revolvers zurückklickte.
»Oh, bitte, Mann«, sagte er.
»Schnauze!«
Ich setzte mich auf sein Hinterteil und stieß den Lauf der .38er an seinen unbedeckten Hinterkopf. Er gab kehlige Geräusche von sich, wie ein Tier des Waldes, das in einer Falle gefangen saß. In der linken Hand hielt ich die Kanone, während ich ihn mit der rechten abklopfte. Keine Waffen.
Also stand ich wieder auf und befahl ihm, er solle die Hände in den Nacken legen. Er gehorchte sofort. Ich ließ die Handschellen zuschnappen: »Dreh dich auf den Rücken, damit ich dein Gesicht sehen kann, Kumpel.«
Er war knapp eins neunzig groß und schlank, und er sah aus, als wäre er gerade aus einem alten, sepiafarbenen Foto herausgetreten. Sein kurzes Haar war in der Mitte gescheitelt. Sein Gesicht war hellbraun und glatt, die Augen haselnußbraun.
Ich zeigte ihm meine Dienstmarke, steckte dann die .38er weg, da ich nicht davon ausging, sie noch mal zu benötigen.
Dann setzte ich ihn davon in Kenntnis, daß er sich als verhaftet verstehen durfte.
»Sie haben das Recht zu schweigen«, begann ich mit der Belehrung über seine Rechte. »Jede Aussage, die Sie machen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Bevor Sie auf Fragen antworten, haben Sie das Recht, zu jedem Zeitpunkt einen Anwalt zugegen zu haben. Falls Sie sich keinen Anwalt leisten können...«
»Ersparen Sie sich das. Ich weiß das alles«, sagte er. Ich hatte die Waffe eingesteckt, deshalb war er plötzlich wieder ganz cool. Auch wenn er mit Handschellen gefesselt im Dreck lag. »Wie lautet die Anklage?«
»Weiß ich noch nicht. Vielleicht fällt mir was ein, wenn ich Sie im Revier abliefere, und wir ein bißchen Farbe auf ihre Finger geben und mit einem Schild voller Zahlen um den Hals eine Porträt- und Profilaufnahme von Ihnen schießen.«
»Hören Sie auf meinen Rat, sagen Sie mir sofort, wie die Anklage lautet.«
»Verdacht der Behinderung eines Polizeibeamten. Das reicht erst mal für vierundzwanzig Stunden in der Arrestzelle, bevor Sie einen Richter sehen, der sich selbst davon überzeugen kann, was Sie für ein neunmalkluges Großmaul sind. Sie können Ihren Anwalt anrufen, der anschließend runterkommen, sein Theater veranstalten, Ihr Händchen halten und Ihnen sagen kann, daß ich damit unmöglich durchkomme - was der Fall ist, zumindest teilweise. Aber der Anwalt wird Ihnen sein Honorar nach Stunden berechnen, und ich kann dafür sorgen, daß es ihn viele, viele Stunden kosten wird, sicherzustellen, daß Ihre verfassungsmäßigen Rechte ausnahmslos gewahrt bleiben.«
»Tun Sie, was Sie tun müssen, Detective Hockaday.« Dann grinste er mich breit an. »Und ich werde tun, was ich für richtig halte. Nach allem, was Sie gerade gesagt haben, könnte ich mir vorstellen, daß ich zunächst mal beim Manhattan Criminal Court eine detaillierte Beschwerde wegen Mißbrauch der Polizeigewalt einreiche. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dabei nicht viel herauskommen. Aber so was zieht automatisch eine Untersuchung durch die Dienstaufsicht nach sich, und das ist ja vielleicht etwas, das Sie nicht herausfordern wollen.«
Oh, ja, dieser Bursche war allerdings auf der Schule gewesen. Wie zum Beispiel auf der Harvard Law.
Also sagte ich: »Okay, ersparen wir uns beide Zeit und Mühe. Wo waren Sie gestern abend gegen halb zwölf?«
»Vor einem Spirituosengeschäft auf der Tenth Avenue. Falls Sie mehr wissen wollen, werden Sie mich aufstehen lassen und mir die Handschellen abnehmen müssen.«
Statt dessen schob ich eine Hand in die Innentasche seiner Jacke, wo ich seine Brieftasche mit aufschlußreichem Inhalt vermutete. Und ich hatte recht. Er hatte etwa hundert Dollar in bar bei sich, die verschiedenen goldenen Kreditkarten, eine Ehemaligen-Kreditkarte der Harvard Coop und einen Führerschein des Staates New York, der mich darüber informierte, daß er am 22. März 1952 geboren war, daß er in einem teuren Block im West Village lebte und daß er einen hochinteressanten Namen hatte: Samuel Waterman
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