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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Autoren: Herder
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Meins, sondern bei vielen Gelegenheiten und Begegnungen diplomatischer, staatsmännischer ausdrücken können. Er, der Freund klarer Worte, tat es nicht.
    Mit Staatschefs von Weltmächten wie Leonid Breschnew oder Jimmy Carter spricht Helmut Schmidt ebenfalls Klartext. Er entgegnet Breschnew einmal bei einem Bankett, dass nicht nur russische, sondern auch deutsche Soldaten durch die, wie Schmidt es zu nennen pflegt, „Scheiße“ des Krieges gegangen sind. Eine solche Widerrede gegenüber dem obersten Sowjetpolitiker hat sich vorher noch kein deutscher Politiker erlaubt.
    Beim amerikanischen Präsidenten Carter braucht er, wie es der Helmut-Schmidt-Biograf Hartmut Soell ausführlich beschreibt, gerade einmal drei Minuten, um ihm deftig die Meinung zu sagen. Jimmy Carter und Helmut Schmidt verbindet in der Folge eine herzliche Abneigung, was der Bundesrepublik Deutschland politisch geschadet haben mag, aber nach der Logik des Klartext-Redners und -Politikers Helmut Schmidt unabwendbar war.
    Das mit dem Klartext ist eine zweischneidige Sache. Der Politiker Helmut Schmidt hat Erfolg, weil er dezidiert eine Richtung vorgibt und so für Orientierung sorgt. Zugleich provoziert er mit seiner „frechen Klappe“ Konflikte, und es wächst die Zahl derer, die sich von ihm abgekanzelt, ja gedemütigt fühlen und die nur auf die nächstbeste Revanche-Chance lauern. Offiziell geht es in der Politik immer um Sachfragen, um den in der Sache besten Weg, doch die personale Ebene von Politik, die allzu menschliche Auseinandersetzung zwischen Akteuren, wird gern unterschätzt. Die Annahme, eine Politikerin oder ein Politiker nehme im politischen Diskurs persönliche Empfindungen zurück, weil es ausschließlich um Fragen des öffentlichen Wohls gehe, ist falsch. Die Mitglieder der Politiker-Kaste verbringen den größten Teil ihres Lebens in Debatten und Sitzungen. Es sind Jahrmärkte der Eitelkeiten.
    Ein von Helmut Schmidt Gedemütigter ist zum Beispiel Erhard Eppler, schwäbischer Pietist, mehrfach gescheiterter Ministerpräsidenten-Kandidat in Baden-Württemberg. Er sieht seine Stunde kommen, nachdem Helmut Schmidt in einer Rede eine „Nachrüstung“ von NATO-Mittelstreckenwaffen in Europa gefordert hat. Eppler war nach dem Kanzlerwechsel von Willy Brandt zu Helmut Schmidt zunächst Entwicklungshilfe-Minister geblieben, drohte aber, als auch sein Ressort mit Etatkürzungen belegt wurde, mit Rücktritt. Der Bundeskanzler nahm – entgegen dem Kalkül von Eppler – diesen Rücktritt an. Eppler hat sich selbst aus dem Amt geschossen, dem eigentlich sein Herzblut gegolten hat.
    Jahre später wird Eppler zum Wortführer einer sogenannten Friedensbewegung, die – so Eppler – „die Kette der Vor- und Nachrüstungen“ durchbrechen will. Eppler wiegelt die Genossen gegen Schmidt auf, er mobilisiert den Widerstand in der Partei, der Schmidt und er gemeinsam angehören.
    Helmut Schmidt muss die Erfahrung machen, dass selbst ein Bundeskanzler vor wirkungsvoller Rache nicht gefeit ist – seine Nachfolger im Amt erleben Vergleichbares, Helmut Kohl in der Spendenaffäre mit seinem früheren, geschassten GeneralsekretärHeiner Geißler, Gerhard Schröder mit Oskar Lafontaine, dessen Eitelkeit er zu wenig bedient hat.
    Helmut Schmidts Festhalten am sogenannten NATO-Doppelbeschluss ist ein typisches, vielleicht das spektakulärste Beispiel dafür, wie er auch noch im Bewusstsein des politischen Scheiterns Klartext redet. Ende der siebziger Jahre ist ihm die SPD mit der Politik, auf neue US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland und Westeuropa zu drängen und zugleich Verhandlungen mit der Sowjetunion über ein militärisches Gleichgewicht zu führen, noch gefolgt. Doch Erhard Epplers aktive, vom SPD-Vorsitzenden Willy Brandt gedeckte Überzeugungsarbeit drehte die Stimmung bei den Genossen. Helmut Schmidt musste erkennen, dass er in seiner eigenen Partei die mehrheitliche Zustimmung verlor – was ihn jedoch nicht an seiner Politik, sondern am versammelten Verstand seiner Partei zweifeln ließ.
    Die Klartext-Rede, die Helmut Schmidt 1983 – da ist er schon nicht mehr Bundeskanzler – beim SPD-Parteitag in Köln hält, geht in die Zeitgeschichte ein, denn nie zuvor und nie mehr danach hat ein prominenter Sozialdemokrat seiner Partei so sehr die Meinung gesagt. Bei aller Contenance, die der Hanseat Schmidt zu wahren sucht, bringt er die Argumente für seine Politik messerscharf auf den Punkt und sucht so die Argumente der Nachrüstungsgegner
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