Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Amt, Helmut Kohl, aber diese Wertschätzung gilt mehr der Person als dem Politiker und seiner Schaffensbilanz.
An dieser differenzierten, gedämpften Sicht auf Helmut Schmidt ändert auch seine Mitarbeit im „Zeit“-Verlag zunächst nichts. Gerd Bucerius, Eigentümer und Verleger der Wochenzeitung „Die Zeit“, fragte im Sommer 1982 über einen gemeinsamen Freund bei Helmut Schmidt an, ob er neben Marion Gräfin Dönhoff Herausgeber werden wolle. Acht Tage nach Helmut Schmidts parlamentarischer Abwahl, am 9. Oktober 1982, besuchte Gerd Bucerius den frischgebackenen Altkanzler in dessen Haus am Neubergerweg in Hamburg-Langenhorn. Die weiteren Gespräche zwischen Bucerius und Schmidt waren, wie Theo Sommer erst kürzlich offenlegte, nicht vergnügungssteuerpflichtig. Zwei Charakterköpfe trafen aufeinander! In einem Brief vom 31. Dezember schließlich trug Bucerius dem Altbundeskanzler nunmehr offiziell das Herausgeberamt an. Helmut Schmidt akzeptierte und nahm die Arbeit im Mai 1983 auf. 1985 wurde er neben Hilde von Lang auch Verleger und Geschäftsführer und übte diese Aufgaben bis 1989 aus. Die Herausgeberschaft nimmt er bis heute wahr.
Gerd Bucerius machte die Offerte selbstverständlich nicht aus Mitleid, er wollte einen prominenten, urteilsstarken Kopf an die „Zeit“ binden. Helmut Schmidt dachte links und liberal, das passte zur „Linie“ des Blattes. Zwischen Verlag und Mitgliedern der Redaktion einerseits und dem Politiker Helmut Schmidt andererseits hatten schon seit vielen Jahren freundschaftliche Verbindungen bestanden.
Theo Sommer hat Helmut Schmidts regelmäßige „Zeit“-Beiträge so charakterisiert: „Sie bleiben selten in der Analyse stecken, sondern laufen meist auf Handlungsanweisungen hinaus.“ Das ist positiv und milde zugleich formuliert. Kein Zweifel, die Analysen schöpfen aus der Erfahrung eines langen Lebens und aus dem Klartext, der für Helmut Schmidt kennzeichnend ist. Störend und nervend ist der oberlehrerhafte Stil, in dem Helmut Schmidt der, wie er sie gern abwertend nennt, „politischen Klasse“ von heute Watschen erteilt. So stringent er seine Handlungsaufträge aus der vorangegangenen Analyse auch entwickelt – sie kommen von einem Autor, der nicht mehr selbst in der Politik steht und die Sachzwängeim Amt nicht mehr selbst erlebt. Es ist ein Glück für ein demokratisches Gemeinwesen, dass ein Elder Statesman von Schmidts Format das Wort ergreift. Doch so sehr er sich um eine exakte Analyse bemühen mag – sein Wort bleibt ein Wort aus zweiter Hand, sein Urteil in der Wirkung begrenzt.
Das betrübt den politischen Publizisten Helmut Schmidt und treibt ihn zugleich an. Mit einem schier unstillbaren Mitteilungsund Rechtfertigungswunsch publiziert er binnen kurzer Zeit mehr als jeder andere deutsche Politiker vor oder nach ihm. Die Deutschen kaufen seine Bücher, weil sie seine Person hoch schätzen und weil sie sich – die Älteren unter ihnen – von ihm gut regiert gefühlt haben. Helmut Schmidt wird zum meistverkauften politischen Autor in Deutschland überhaupt.
1986 ist der rauchende Helmut Schmidt in der Talkshow des Norddeutschen Rundfunks zu Gast. Moderatorin Alida Gundlach beginnt das Gespräch mit Versen von Wilhelm Busch, die fröhlich stimmen sollen: „Sehr erheitert uns die Prise / Vorausgesetzt, dass man auch niese!“ Helmut Schmidt lächelt nicht. Er versteht an diesem Abend keinen Spaß. Er tritt auf, als sei er noch immer Bundeskanzler, bleibt verkrampft und scheinbar ohne Distanz zu sich selbst. Kein Zweifel, bis zur Rolle des politisch Weisen und des letzten Rauchers ist es noch lange hin.
Die neue Heimat bei der „Zeit“ wird ihm mehr und mehr zur Plattform seines Handelns. Er lässt sich auf einen von Loriot produzierten Werbespot für die „Zeit“ ein, womit er nun doch, dies eine Mal in seinem Leben, ein bisschen Werbung macht. Loriot darf Helmut Schmidt zeichnen, und er trifft ihn brillant. Die typisch knollennasige Zeichentrickfigur beklagt sich mit der schnoddrigen Originalstimme von Helmut Schmidt:
„Ich verstehe wie gesagt meine Wasserrechnung nicht, obwohl ich mir jedes Mal, wenn sie kommt, wieder Mühe gebe, das Kauderwelsch da, dieses computerausgedruckte Kauderwelsch zu verstehen. Ich verstehe auch meine eigene Gehaltsabrechnung nicht. Es gibt wahrscheinlich Millionen von Menschen, die ihre eigene Lohnabrechnung nicht nachvollziehen können. Das hat nichts mit allgemeinem Kulturpessimismus zu tun.“
Helmut Schmidt
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