Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Anerkennung keine Liebe wurde. Er hält die Deutschen für ein Volk von Angsthasen, die mit ihrer Angst – vor moderner Technik, vor dem Waldsterben, der Klimakatastrophe – ihrer guten Zukunft im Weg stehen. Mit dieser Angst paare sich eine Flucht vor der Wirklichkeit, ein Wegsehen von der Welt, wie sie ist. Helmut Schmidt sagt und schreibt es bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Er sagte es zum Beispiel in der schon erwähnten historischen Rede beim SPD-Parteitag 1983, als er – die Abstimmungsniederlage fest im Blick – sein Festhalten am NATO-Doppelbeschluss begründete. Nein, er sagte es nicht selbst, er zitierte einen Klartext-Dichter, um die Kraft seiner Aussage zu verstärken. Helmut Schmidt zitierte aus Heinrich Heines Satire „Deutschland, ein Wintermärchen“ folgende Zeilen:
„Franzosen und Russen gehört das Land,
das Meer gehört den Briten.
Wir aber besitzen im Luftreich der Träume
die Herrschaft, unbestritten.
Hier üben wir die Hegemonie,
hier sind wir unzerstückelt.
Die anderen Völker haben sich
auf platter Erde entwickelt.“
Helmut Schmidt unternimmt hier nichts weniger, als mit dem Volk, dem er als Politiker diente, zu schimpfen. Ein solcher Klartext,der das „deutsche Wesen“ ins Mark trifft, ist von keiner anderen Politikerin oder einem anderen Politiker bekannt.
Auch im hohen Alter verliert Schmidts Urteil nichts von seiner Strenge, ja Schärfe. Keine Spur von „Altersmilde“, keine Veränderung von Positionen, die er seit Jahren und Jahrzehnten vertritt. Die späte Liebe, die dem alten Helmut Schmidt zuteil wird, speist sich aus folgenden Quellen: Viele Deutsche finden es eindrucksvoll, mitzuerleben, wie dieser Mann jenseits der 80 intellektuell auf der Höhe bleibt, sich anstrengende Reisen zumutet und immer wieder in Fernsehsendungen kommt. Andere Altregenten wie Richard von Weizsäcker oder Roman Herzog leben im Vergleich zu Helmut Schmidt zurückgezogen.
Ein weiterer Grund für die Bewunderung, die Helmut Schmidt jetzt erfährt, liegt in der Perspektive der Betrachter. Ein neuer, wohlwollender Blick wird auf ihn gerichtet. Seine Geradlinigkeit im Urteil und sein Klartext im Ausdruck werden nicht mehr als störrisch oder gar starrsinnig angesehen, sondern als prinzipientreu und diszipliniert. Helmut Schmidt ist der Letzte seines Standes, er verkörpert das Denken und den Geist einer vergangenen Zeit. Helmut Schmidt ist die Jahrzehnte über der geblieben, der er schon immer war – allerdings hat sich die Welt um ihn herum bewegt und einen anderen, durchweg positiven Blick auf ihn geworfen.
Und – dritter Grund – wie er etwas sagt, wirkt heute nicht mehr so hart und handkantenschlagartig. Das Alter, schrieb der Helmut-Schmidt-Biograf Hans-Joachim Noack treffend, hat als eine Art Weichzeichner auf ihn gewirkt. Das Schneidige ist heraus.
Der Hype um Helmut Schmidt beginnt Anfang des neuen Jahrtausends, als ihn die Journalistin Sandra Maischberger und ihr Kollege Reinhold Beckmann immer wieder ausführlich im Fernsehen befragen. Helmut Schmidt rechnet mit der Politiker-Kaste der Gegenwart ab. Und raucht dabei wie ein Schlot. Amüsiert strickt er jetzt am Kultstatus als letzter Raucher mit. Eine Kostprobe:
Schmidt: „Wir haben noch Stoff für drei Stunden Sendung.“
Beckmann (zeigt auf Schmidts Zigarettenschachtel): „Haben Sie denn noch genug Stoff ?“
Schmidt: „Ich hab’ noch drei Zigaretten, dann müssen wir aufhören.“
Im selben Jahr erscheint ein Interview-Buch „Hand aufs Herz“, das im Gespräch von Helmut Schmidt, Sandra Maischberger und einer Gruppe von Jugendlichen entstanden ist. Helmut Schmidt erliegt dem Charme von Sandra Maischberger und taut auf wie nie zuvor und nie mehr danach. Mehr als in jedem anderen Buch gibt er Persönliches preis und wehrt auch intime Fragen – etwa was er beim Tod seines Sohnes empfunden habe – nur milde ab.
In einem der Gespräche mit Sandra Maischberger lautet eine Text-Einblendung: „Helmut Schmidt, 88, Raucher seit über 70 Jahren“.
Helmut Schmidt als trotziger, ewiger Raucher und als ehemals schneidiger Mann, der plötzlich Gefühle zeigt, erobert die Herzen der Deutschen im Sturm.
2002 stellt eine Umfrage des Instituts Gewis für das Männermagazin „Best Life“ fest, Helmut Schmidt sei der „weiseste Deutsche“. Helmut Schmidt kam knapp vor Richard von Weizsäcker aufs Siegertreppchen.
2008 wird Helmut Schmidt zum „coolsten Kerl“ Deutschlands gewählt. In einer Umfrage, meldet die
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