Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
fand er. Später räumt er ein, Helmut Kohl bis in den Herbst des Jahres 1989 hinein unterschätzt zu haben. Helmut Kohls Zehn-Punkte-Plan zur deutschen Vereinigung sei „eine Glanzleistung“ gewesen. „Ich habe Kohl lange als Provinzpolitiker empfunden, seit dem Herbst 1989 aber als Staatsmann.“
Helmut Schmidt schwächt das ein paar Minuten später wieder ab. Helmut Kohl hätte, so seine Meinung, „die Vereinigung niemals allein bewerkstelligen können“, ohne die Erlaubnis der westlichen Partner, „auch nicht mit noch so vielen gemeinsamen Saunabesuchen“.
Als der Südwestrundfunk eine Dokumentation zum 80. Geburtstag von Helmut Kohl vorbereitet, wird Helmut Schmidt um ein Interview gebeten. Er nimmt sich viel Zeit und zeigt sich milde. Helmut Schmidt anerkennt in diesem Gespräch mit Klaus Weidmann nicht nur die Verdienste von Helmut Kohl, sondern auch die von Hans-Dietrich Genscher, über den er viele Jahre kein Wort verloren hat.
Der Chefredakteur des Südwestrundfunks findet das Interview so spannend, dass er es komplett im Fernsehen ausstrahlen will. Helmut Schmidt legt sein Veto ein – so viel Würdigung für Helmut Kohl sollte dann auch nicht sein.
Es war vielleicht nicht besonders schmeichelhaft, aber in der Sache treffend, als der damalige Hamburger Bürgermeister Ole von Beust zu Helmut Schmidts 90. Geburtstag von einer „Nostalgiewelle“ sprach, die Schmidts Kanzlerzeit, die siebziger Jahre, inein verklärendes Andenken hebe. Denn die Mehrheit der Deutschen findet, die besten Jahre der Bundesrepublik Deutschland seien vorbei, wie das Institut für Demoskopie in Allensbach in einer Umfrage 2010 ermittelt hat. Ihre beste Zeit waren demnach die Siebziger, als Willy Brandt und Helmut Schmidt das Land regierten. Zu Anfang jenes Jahrzehnts herrschte politische Aufbruchsstimmung, dann gewann die westdeutsche Mannschaft zuerst die Fußball-Europameisterschaft und später die Weltmeisterschaft, und „Lotse“ Schmidt behielt im zweiten Teil der Dekade stets den Überblick.
Die siebziger Jahre erleben schon lange ein Comeback mit ihrer charakteristischen Mode, ihren Plastikmöbeln und ihrer Popkultur. Nie vorher und nie mehr danach war die Welt in Westdeutschland so farbenfroh und fröhlich wie in jener Zeit. Die Not der fünfziger Jahre lag lange zurück, und aus dem kleinen Wohlstand in den Sechzigern wurde jetzt ein relativ großer. Mütter und Väter kauften die erste Spülmaschine und den ersten Farbfernseher, Kinder und Jugendliche freuten sich auf „Bonanza“, „Daktari“ und „Dalli-Dalli“. Sie bekamen einen orangenen Hüpfball geschenkt und klebten „Abba“-Poster an die Wand. Ihr Musik-Idol war Udo Lindenberg.
Wer sich heute verklärend an die Siebziger erinnert, hatte damals sein Leben noch vor sich. Heute, 30 oder 40 Jahre später, sind die Weichen im eigenen Leben gestellt und die Haare ergraut.
Nein, diese Epoche soll nicht vergehen. James Last geht gerade, mit 81 Jahren, noch einmal auf Tournee. Udo Jürgens’ Lied „Griechischer Wein“ ist der Partykracher bei den jungen Leuten von heute. Und die Menschen schalten ein, wenn der Bundeskanzler jener Jahre, Helmut Schmidt, im Fernsehen erzählt, wie der erste Weltwirtschaftsgipfel 1975 in Rambouillet, vom französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing und ihm initiiert, ein striktes Arbeitstreffen war, nicht wie heute ein Forum zur Selbstdarstellung vor der Weltpresse.
Wie nah ist doch jene Zeit, deren Protagonisten – Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Udo Jürgens, Helmut Schmidt – noch immer öffentlich relevante Figuren sind. Wer Helmut Schmidtund Uli Hoeneß im Fernsehen sieht, denkt zugleich an den rhetorisch brillanten Bundeskanzler und die Sieger-Kicker im damals grünen Nationaltrikot.
Der Journalist Kurt Kister ging derlei nostalgischen Gefühlen in der „Süddeutschen Zeitung“ 2010 auf den Grund. „Man denkt meistens dann daran, dass früher manches besser war, wenn man heute unglücklich ist.“ Nostalgische Erinnerungen gehen hin zu „besonderen Situationen, in denen man stark, geliebt oder geborgen war“. Mit Blick auf Helmut Schmidt würde das heißen, er steht für eine Republik, die ihren Bürgerinnen und Bürgern politische Geborgenheit geschenkt hat.
In der Berliner Republik ist von Geborgenheit wenig zu spüren, und nicht einmal gemütlich geht es hier zu. „In den letzten zehn Jahren hat sich die Bundesrepublik von ihrer eigenen Vorgeschichte zunehmend entfernt, vielleicht
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