Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
er bieder und provinziell, 1998 erinnerte sein Auftritt an den eines mittelalterlichen Monarchen.
Der erste Amtsinhaber der neuen Bundesrepublik, Gerhard Schröder, erlebte nicht nur diesen Kräfteverschleiß im Amt, sondern musste mehr als jeder Kanzler vor ihm erleben, wie kurz die Haltbarkeit einer politischen Entscheidung inzwischen ist. Umbrüche treten in immer kürzeren Abständen ein. Der strahlende Wahlsieger von 1998 schaffte es vier Jahre später noch einmal knapp ins Ziel. Aber bald darauf musste er den SPD-Parteivorsitz abgeben und – weil seine politische Lage so verzweifelt war – Neuwahlen anstoßen. Dabei war und ist Gerhard Schröder ein Polit-Profi, der sich nicht selbst aus dem Amt befördert hat wie einst Willy Brandt; er wurde ein Opfer der politischen Moderne, die sich in immer kürzeren Intervallen immer neue Opfer holt.
Angesichts der wachsenden Komplexität der politischen Probleme und der immer unerbittlicheren Gesetze der Mediendemokratie wird der Verschleiß an politischem Führungspersonal weiter zunehmen. Man vergleiche Fotos von Gerhard Schröders Amtsnachfolgerin Angela Merkel von vor fünf Jahren und von heute – der wachsende Druck bleibt nicht in den Kleidern hängen.Das liegt weniger an ihr als an dem Amt, das sie ausübt. Sie ist das Zentrum eines politischen Betriebes, der sich – Stichwort Globalisierung und Finanzkrise – immer schneller dreht.
Die Bundesrepublik Deutschland wird keine langen Kanzlerschaften mehr erleben. Konrad Adenauer und Helmut Kohl bleiben die „ewigen“ Kanzler. Sogar Helmut Schmidts Regierungszeit von achteinhalb Jahren wird nicht mehr oft erreicht.
Die Arbeitsbedingungen der Berliner Republik haben die Regierungsarbeit fragiler gemacht. In der alten Bundesrepublik gehörte es zur demokratischen Tradition, eine Legislaturperiode „voll“ zu machen. Es gab mehrfach Ausnahmen, doch die bestätigten nur die Regel. Heute und in Zukunft muss jede Kanzlerin und jeder Kanzler gewahr sein, dass ihre oder seine Bundesregierung schon während der Legislaturperiode zerbrechen kann.
Die Gemächlichkeit und Gemütlichkeit der alten Zeiten ist vorbei, nicht nur in der Politik. Ein Beispiel aus dem Sport: Noch in den sechziger und siebziger Jahren gab es für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, trotz mancher Misserfolge, keine „Trainerfrage“. Der Fußballlehrer Helmut Schön und die Nationalmannschaft blieben einander treu und stetig 14 lange Jahre verbunden. Die Engagements seiner Nachfolger fielen erfolgsbezogen und damit immer kürzer aus. Erich Ribbeck, 1998 berufen, brachte es am sportlichen Tiefpunkt des deutschen Teams auf keine zwei Jahre, der populäre Rudi Völler auf gerade einmal vier. Der „Trainer der Herzen“ Jürgen Klinsmann war tatsächlich nur zwei Jahre im Amt. Nachfolger Joachim Löw weiß, dass er auf einem Schleudersitz Platz genommen hat – die erste längere Pechsträhne seiner Jungs wird zu seiner Ablösung führen.
Die neuen Sitten in der Fußballwelt sind symptomatisch für die Schnelllebigkeit und den hohen Erfolgsdruck, die nicht nur auf den Feldern von Politik und Sport, sondern auf allen Feldern der Gesellschaft Platz gegriffen haben. In der Moderne des 21. Jahrhunderts gibt es für Frauen und Männer in Führungsrollen keine Schonzeit mehr. Der Druck auf sie, entfacht und gesteigert durch die Medien, ist enorm und knickt selbst einen stabilen Stamm in überschaubarer Zeit um.
Schnelllebigkeit und Kurzatmigkeit der Politik ist eine Ursache für den wachsenden Politikverdruss der Deutschen, die andere das Handeln der politischen Kaste selbst. Während der CDU-Spendenaffäre im Jahr 2000 konstatierte Joachim Fest einen „überheblichen Umgang“ der Politiker mit den Spielregeln und Gesetzen der Demokratie. Einzelne Politikerinnen und Politiker waren und sind, so seine Analyse, auf Vorteilsnahmen aus. „Ungeschriebene Normen werden dadurch unstreitig verletzt, man kann mit einem altmodischen Begriffspaar auch sagen: Anstand oder Treu und Glauben.“
Politiker seien gewiss nicht bessere Menschen. „Aber die über alles bekannte Maß hinausreichende Rolle, die sie zumal in einer Mediengesellschaft spielen mitsamt der Glashausexistenz, die sie führen, zwingt ihnen eine Vorbildfunktion auf, die kein Entrinnen erlaubt.“
Die Parteispenden-Affäre war ein krasses Beispiel dafür, wie geliehene Amtsgewalt als eine Art Vollmacht angesehen wurde, um nach Gutdünken Macht auszuüben und Politik zu machen. Selbst
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