Helter Skelter - Der Mordrausch des Charles Manson
begnügen: Manson war fünf- oder sechsmal im Nachbarhaus der LaBiancas gewesen und mindestens bei einer Gelegenheit bis ans Tor des Tate-Domizils gekommen.
Zufall? Da anzunehmen war, dass die Verteidigung von Manson so argumentieren würde, notierte ich mir ein paar Ideen für meine Erwiderung.
Charles Manson hatte durchaus Sinn für Humor. Während er im Bezirksgefängnis einsaß, war er irgendwie an ein Antragsformular für eine Kreditkarte der Union Oil Company gekommen. Dieses füllte er mit seinem korrekten Namen und der Gefängnisadresse aus. Als letzten Wohnsitz gab er »Spahn’s Movie Ranch« an, als Beruf »Wanderprediger«, Erwerbszweig »religiös«, Dauer des Beschäftigungsverhältnisses »20 Jahre«. In die Rubrik für den Vornamen der Ehefrau schrieb er »keine« und die Zahl der Unterhaltsberechtigten gab er mit »16« an.
Der Antrag wurde aus dem Gefängnis geschmuggelt und von Pasadena aus abgeschickt. Bei der Union Oil erkannte wohl ein Mitarbeiter – offensichtlich war es kein Computer – den Namen, sodass Charles Manson die beiden beantragten Kreditkarten nicht bekam.
Ein anderer Wesenszug, den ich bei den Prozessen beobachtet hatte, war sein dreistes Benehmen. Das konnte zum einen natürlich daran liegen, dass er seit Kurzem berühmt-berüchtigt war. Denn noch Anfang Dezember 1969 hatte kaum jemand je von Charles Manson gehört. Aber Ende des Monats hatte der Mörder bereits seine Opfer in den Schatten gestellt. So brüstete sich ein Mitglied der Family sogar begeistert damit: »Charlie hat es auf das Titelblatt von Life geschafft!«
Doch das war es nicht allein. Es schien, als sei Manson entgegen seinen verbalen Äußerungen davon überzeugt, dass er die Anklage vom Tisch fegen könne.
Mit dieser Hoffnung stand er nicht allein. Leslie Van Houten schrieb ihren Eltern, sie komme selbst im Fall einer Verurteilung nach sieben Jahren wieder frei – in Kalifornien ist jemand, der zu »lebenslänglich« verurteilt wird, nach sieben Jahren Anwärter auf Haftaussetzung –, während Bobby Beausoleil mehreren seiner Freundinnen schrieb, er rechne bei der Wiederaufnahme seines Verfahrens mit einem Freispruch und wolle danach seine eigene Family gründen.
Das Fatale war, dass zumindest Manson am Jahresende reelle Chancen hatte, recht zu bekommen.
»Und wenn Manson nun einen sofortigen Prozessbeginn verlangt?«
Aaron und ich diskutierten diese Möglichkeit ausführlich. Denn ein Angeklagter hat das verfassungsmäßige Recht auf einen zügigen Prozess, der spätestens binnen 60 Tagen nach Anklageerhebung beginnt. Falls Manson auf diesem Recht bestehen sollte, würde es eng für uns werden.
Aus zweierlei Gründen brauchten wir unbedingt mehr Zeit. Wir hatten immer noch viel zu wenig Beweismaterial zur Bestätigung von Susan Atkins ’ Zeugenaussage – immer unter der keineswegs sicheren Voraussetzung, dass sie sich zu einer Aussage entschließen würde. Außerdem befanden sich zwei der Angeklagten – Watson und Krenwinkel – noch außerhalb des Bundesstaates. Ausgerechnet gegen diese beiden Angeklagten hatten wir jedoch wissenschaftliche Schuldbeweise in der Hand, nämlich die Fingerabdrücke vom Tate-Wohnsitz. Falls es, wie von uns erhofft, einen gemeinsamen Prozess geben würde, brauchten wir zumindest einen der beiden im Gerichtssaal.
Ich schlug daher vor zu bluffen: Wir würden bei jedem Gerichtstermin durchblicken lassen, dass wir das Verfahren so schnell wie möglich eröffnen wollten. So wollten wir Manson zu der Annahme veranlassen, dass dies schlecht für ihn wäre, und hofften, dass er versuchen würde, den Prozess hinauszuzögern.
Doch es war ein riskantes Spiel. Denn es konnte ebenso gut sein, dass Charlie unsere Taktik durchschaute und mit seinem seltsamen Grinsen sagte: »Meinetwegen, dann gehen wir vor Gericht.«
Teil 4
Die Suche nach dem Motiv: Die Bibel, die Beatles und Helter Skelter
»Wenn ich ein Motiv finden sollte,
dann würde ich nach etwas suchen,
das nicht in Ihr Schema F passt,
das Ihren üblichen polizeilichen Rahmen sprengt,
nach etwas viel Bizarrerem …«
Roman Polanski gegenüber Lieutenant Earl Deemer
Januar 1970
Vertrauliche Mitteilung. Von: Stellvertretender Bezirksstaatsanwalt Vincent Bugliosi. An: Bezirksstaatsanwalt Evelle Younger.
Betreff: Sachstand der Fälle Tate & LaBianca.
Die Mitteilung umfasste 13 Seiten, doch das Wesentliche stand in einem Absatz:
»Ohne die Zeugenaussage von Susan Atkins im Fall Tate ist die Beweislage gegen zwei der
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