Helvetias Traum vom Glück (German Edition)
Schweigen wirkte manchmal Wunder. Unten auf der Strasse warteten sie auf die beiden Kollegen.
«Lernt man das im Nahkampf?», wollte Werni wissen.
«Was?»
«Wie trete ich einen Mann in die Genitalien?»
«Nein, das ist Reflex. Ein natürlicher, versteht sich.»
Ferrari schaute auf die Uhr, halb fünf. In einer Stunde war er mit Monika auf dem Weihnachtsmarkt verabredet.
«Ich mache heute etwas früher Schluss. Ihr braucht mich nirgends abzusetzen, ich möchte ein wenig durch die Stadt schlendern. So kann ich am besten nachdenken. Wir sehen uns morgen, Nadine.»
Ferrari spazierte quer durchs Kleinbasel zur Mittleren Rheinbrücke. Das Aufeinandertreffen verschiedenster Kulturen faszinierte ihn immer wieder aufs Neue. Basel, seine Stadt, hatte so wunderbar farbige Facetten. Nach und nach gingen überall die Lichterketten an. Besonders schön waren die Weihnachtsbeleuchtung auf der Brücke sowie die grossen zauberhaft geschmückten Tannenbäume rund um und auf dem Marktplatz. Wie ich sie liebe, diese Vorweihnachtszeit. Die Stimmung ist einzigartig. An solch besinnlichen Tagen sollte man keinen Mord aufklären müssen. Wirklich nicht. Aber gab es überhaupt eine gute Zeit, um Straftaten aufzuklären? Wohl kaum. Ferrari schlängelte sich durch die ihm entgegenströmenden Passanten. Kein Lächeln weit und breit. Warum nur waren die Menschen im Dezember so gereizt und zum Teil extrem aggressiv? Und je näher die Weihnachtstage rückten, desto mehr verstärkten sich Hektik und Stress. Von Besinnlichkeit war dann nichts mehr zu spüren. So hat sich Jesus das Fest der Liebe sicher nicht vorgestellt – oder besser gesagt, das Fest der Geschenke. In diesem Jahr hatten sie erstmals entschieden, auf die Geschenkorgien zu verzichten. Na ja, eigentlich war es Monikas Idee gewesen. Keine Geschenke mehr für Erwachsene, nur noch eines für Nikki. Ferrari tat sich schwer mit diesem Gedanken, denn viele Päckchen gehörten zur Weihnacht wie … ja, wie … Adam zu Eva. Toller Vergleich. Es war einfach schön, sich ein Geschenk für einen anderen Menschen auszudenken, dieses süsse Geheimnis zu hüten, die eine oder andere Anspielung zu machen, um dann endlich an Heiligabend die Freude des anderen zu sehen. Und natürlich umgekehrt, das war genauso wichtig. Ganz abgesehen von der lieb gewonnenen Tradition, heimlich zum Weihnachtsbaum zu schleichen, um die mit dem eigenen Namen versehenen Geschenke zu befühlen oder gar zu schütteln. So ist das mit der Vorfreude, sie ist etwas vom Schönsten. Jetzt sollte plötzlich Schluss damit sein? Ferrari seufzte und hielt einen Moment inne. Früher gefiel ihm die Weihnachtsbeleuchtung in der Freien Strasse besser, denn da hingen riesige Herrnhuter Weihnachtssterne inmitten einer Lichterkette. Doch als die Jahre immer mehr Spuren hinterliessen, wurden die Sterne durch eine modernere Beleuchtung ersetzt. Bei den Heiligen Drei Königen, die wie jedes Jahr vor der Hauptpost für einen guten Zweck sammelten, warf er zehn Franken in den Topf. Die Könige klopften zum Dank drei Mal mit ihren Stöcken. Auch eine der schönen alten Traditionen, die wir nicht aufgeben dürfen. Vor dem «Pfauen» spielte eine Gruppe Klassische Musik, und zwar gar nicht schlecht. Der Kommissär hörte sich im Gedränge drei Stücke an, warf erneut zehn Franken in einen am Boden liegenden Hut und drückte sich dann durch die Menge Richtung Barfüsserplatz.
Monika wartete bereits vor dem «Café Huguenin» auf ihn. Arm in Arm schlenderten sie gemütlich von Weihnachtsstand zu Weihnachtsstand, redeten über dies und das, tranken Glühwein, der nicht im Leisesten so gut war wie jener der Alternativen, befand der Fachmann Francesco Ferrari, und kauften die obligate Tasse dazu. Alle Jahre wieder, denn Monika hatte bereits eine stolze Sammlung solcher Tassen, die jeweils mit dem Jahrgang angeschrieben waren.
«Da ist ja nicht einmal mehr der Jahrgang eingeritzt», wetterte Monika enttäuscht.
«Dann musst du die Jahreszahl von deiner Freundin Judith einritzen lassen. Die besucht doch einen Abendkurs für Fortgeschrittene und …»
«Lass meine Freundinnen schön aus dem Spiel. Verstanden, Herr Kommissär?!»
Ferrari schmunzelte. Ja, ja, die lieben Freundinnen. Auf dem Theaterplatz bestaunte er fasziniert eine Art Schlittenbahn auf Rollen, von den Robi-Spiel-Aktionen betrieben. Die Kinder setzten sich in ein Holzgefährt, eigentlich war es nur eine Sitzschale auf einem Brett, und rutschten über eine Rollenbahn
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