[Henderson_Charles]_Todesfalle-Die_wahre_Geschicht(Bookos.org)
einen Spiegel zu schauen, der oben auf dem Radio balancierte. Hathcock mußte daran denken, wie lange er schon nicht mehr in einem Badezimmer vor einem Waschbecken gestanden und sich mit heißem Wasser rasiert hatte.
Er ging hinter den Bunkern den Hügel hinunter und trat zu einer Gruppe von Marines in Helmen und kugelsicheren Jakken. Jeder der Männer hatte zwei Splittergranaten und mehrere Beutel mit Munition bei sich, und als Gegengewicht hingen zwei volle Feldflaschen an den Patronengürteln. Carlos trug nur sein Gewehr, an seinen Gürtel hatte er eine Feldflasche und ein Nahkampfmesser gehängt. Er griff in seine Tasche, berührte die Tube mit Tarnschminke - und hatte Angst.
Zur Landezone war es nicht weit, und auch der Flug dauerte nicht lange. Es ging direkt nach Westen und tief in die hohen Berge an der Grenze von Laos hinein.
Der Sturmtrupp brachte ihn schnell an den Ausgangspunkt seiner Mission, und am Mittag lehnte Hathcock bereits allein, von dichten Pflanzen umgeben mit dem Rücken an einem Baum und stellte sich im Geist auf das ein, was ihm bevorstand. Die Angst, die wie ein schweres Tier auf seiner Brust lastete, ließ sich nicht so leicht besiegen.
Der erste Tag
Carlos hatte wie stets in der Vergangenheit alles genauestens kalkuliert und erreichte, gerade als die Sonne unterging, den Rand der Baumlinie. Nun bemalte er sich alles, was von seiner Haut sichtbar war, mit verschiedenen hell- und dunkelgrünen Schattierungen aus der Tube in seiner Tasche. In jedem Knopfloch und jedem Riemen seiner Uniform steckten verschieden geformte Blätter und Gräser.
Hier, am Rand des offenen Geländes, konnte er die schwer bewachten Gebäude der NVA mit ihren Tarnnetzen und ihren befestigten Geschützstellungen sehen. Er hatte keine Ahnung, wo in Südostasien er sich im Augenblick befand, und er hatte auch nicht fragen wollen. Die Geländekarte, die er studie rt hatte, enthielt keine Ortsnamen. Der Flugroute und der zurückgelegten Entfernung nach hätte er sich nicht gewundert, wenn er in Laos oder sogar in Nordvietnam gewesen wäre.
Im Schutz der Dunkelheit besserte Carlos seine Tarnschminke aus und ersetzte die dunkelgrünen Blätter des Waldes durch die hellgrünen und strohgelben Grashalme, die jetzt um ihn herum und auf der weiten, offenen Fläche vor ihm wuchsen. Er zog seine Feldflasche heraus und goß Wasser in den Schraubdeckel. Dann hob er ihn an die Lippen und trank, während seine Augen ständig umherhuschten und nach Bewegungen Ausschau hielten, und während seine Nase die Luft auf Gerüche anderer Menschen hin überprüfte.
Im Lauf der nächsten Stunde setzte er seine Vorbereitungen fort, trank in kleinen Schlucken Wasser aus dem Deckel seiner Feldflasche und ruhte sich im Schutz der Bäume aus. Endlich rollte er sich so geschmeidig und langsam wie der Minutenzeiger einer Uhr auf die Seite und glitt ins Freie. Sein Winchestergewehr hielt er fest an die Brust gedrückt.
Sein Körper war zwar ständig in Bewegung, aber so langsam glitt er durch die Nacht, daß ein Mann, der ihn aus drei Metern Entfernung beobachtet hätte, aller Wahrscheinlichkeit nach nichts bemerkt haben würde. Seine Geschwindigkeit errechnete sich nach Zentimetern pro Minute und Metern pro Stunde. Von jetzt an würde Hathcock weder essen noch schlafen, bis er sein Ziel erreicht hatte, und trinken würde er nur selten.
Er hatte keine Ahnung gehabt, daß er sich so langsam würde bewegen müssen. Das trockene Gras, durch das er kroch, überragte seinen Kopf etwa um einen Fuß. Er sah die Sterne am klaren Nachthimmel und betete um Regen. Falls es regnete, konnte er schneller vorankommen, denn dann hatte der Feind schlechtere Sicht, und das Prasseln der Tropfen würde seine eigenen Geräusche überdecken. Außerdem würde die Feuchtigkeit das Knistern der trockenen Gräser und Pflanzen dämpfen.
Der Marine hatte sich ungefähr zehn Meter von der Baumlinie entfernt, als er die erste feindliche Patrouille kommen hörte. Angestrengt spähte er in die mondlose Dunkelheit. An den ständig lauter werdenden knirschenden Schritten merkte er, wie sich die Soldaten immer weiter näherten. Hathcock hielt den Atem an. Jetzt war die Patrouille ganz nahe. Seine Lungen brannten, sein Herz schlug heftig. Der Schweiß strömte ihm aus allen Poren. Er fürchtete, sie könnten ihn riechen. Absolut regungslos starrte er auf die Spur aus umgebogenen und abgebrochenen Gräsern hinter sich. Hathcock dachte: »Wenn sie mich finden, dann dadurch. Sie
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