[Henderson_Charles]_Todesfalle-Die_wahre_Geschicht(Bookos.org)
Rosinen im Kopf«, sagte Carlos Hathcock laut. Johnny Burke saß auf einer Holzkiste und putzte mit einem zusammengebogenen Pfeifenreiniger den Verschlußmechanismus seines M-14. Carlos saß auf einer zweiten Kiste. Zwischen seinen Füßen auf dem schmutzigen Sperrholzboden der Kommandostube des Heckenschützenzuges lagen eine topographische Karte und mehrere Fotos.
»Wie in aller Welt bin ich da nur hineingeraten?« seufzte Hathcock.
»Sie sind der beste, Sergeant Hathcock. Deshalb tragen Sie ja auch die weiße Feder, nicht wahr?« sagte Burke und schaute auf.
Hathcock warf seinem Partner einen Blick zu. »Vielleicht. Aber diesmal bin ich mir da nicht so sicher. Kommen Sie her und sehen Sie sich diese Fotos an. Ich sage Ihnen, das ist Selbstmord.«
Burke legte den Gewehrverschluß auf ein Handtuch und durchquerte die Bude. Hathcock hatte eine orangefarbene Linie auf die Plastikfolie gezeichnet, die er über die Karte geklebt hatte, um sie wetterfest zu machen. Die Linie stellte den Weg der Patrouille dar, die ihn absetzen würde. Er überlegte nun, wie er am besten von dort bis zum Endziel seiner Mission gelangen sollte.
»Es gibt auf achtzehnhundert Meter nicht die Spur einer Deckung«, sagte Hathcock und zeigte auf die Luftaufnahme eines Gebiets, das er auf der Karte rot eingekreist hatte. »Bis hierher kann ich mich hinter der Baumlinie halten«, fuhr er fort und klopfte dabei mit den Fingern auf den Kreis. »Und ich werde auf diesen Burschen nur einen einzigen Schuß abgeben können. Der muß sitzen. Sobald dieser Schuß abgefeuert ist, bricht die Hölle los, die Chancen für einen zweiten sind also gleich null. Ich kann es nicht riskieren, auf achtzehnhundert Meter zu schießen - ich muß auf siebenhundert Meter ran oder noch näher. Das heißt, ich muß etwa elfhundert Meter freies Gelände überqueren, ohne daß mich jemand sieht.«
Burke ließ sich auf ein Knie nieder und schüttelte den Kopf. »Sergeant Hathcock, also wirklich...!«
Hathcock sah Burke an, und ein ungewöhnlich besorgter Ausdruck trat in sein Gesicht. »Ich weiß, ich weiß.« Erbetrachtete erneut die Karte und die Fotos, stützte die Ellbogen auf die Knie und faltete die Hände wie in unbewußtem Gebet unter dem Kinn. »Ich muß da auf dem Bauch durch und kann nur hoffen, daß keiner über mich stolpert.«
Burke ging zu seiner Kiste zurück und setzte sich. Dann hob er den Gewehrverschluß auf und begann, ihn mit einem neuen Pfeifenreiniger zu bearbeiten.
»Sergeant Hathcock, wenn irgend jemand eine Lösung weiß, dann sind Sie es. Wenn es zu schaffen ist, dann können Sie es schaffen. Aber ich will ganz ehrlich sein: Mitten in das Hauptquartier der NVA reinzumarschieren und dort den Oberbonzen abzuknallen, dazu gehört eine ganze Menge mehr Courage, als ich aufbringen würde. Ein Jammer, daß Sie das Ganze nicht einfach abblasen können.«
»Nein«, antwortete Hathcock ohne aufzublicken. »Das ist nicht mein Stil. Die Arbeit muß gemacht werden.«
Carlos betrachtete seine Uhr und le gte sie dann vorsichtig zu seinen übrigen Habseligkeiten in seine Kiste. Bei diesem Einsatz würde er alles zurücklassen.
Mit der linken Hand nahm er seinen Buschhut ab, zog sanft die zarte weiße Feder aus dem Hutband und legte sie zwischen die Seiten seines vom Marine Corps ausgegebenen Neuen Testaments. Er steckte das zigarettenschachtelgroße Buch in eine Ecke der Kiste, schloß die Holzdeckel und ließ das Kombinationsschloß über der Haspe einschnappen. Dann drückte er sich den Hut auf den Kopf, hängte sich das Gewehr über die Schulter und ging hinaus, seinem Schicksal entgegen.
Als Carlos durch den Komplex von tief ausgeschachteten und dick mit Sandsäcken bewehrten Bunkern, Hartwandzelten und Antennenanlagen auf Höhe 55 ging, hörte er, wie der neue Tag zum Leben erwachte.
»Guuuuten Morgen, Vietnam!« dröhnte eine Stimme aus einem auf AFVN eingestellten Radio. »Es ist sechs Uhr fünf am Morgen und Zeit für... Shout!« Der Rock 'n' Roll-Hit ›Shout‹ von Joey Dee und den Starlighters hallte aus verschiedenen auf den Sender der Da Nang American Forces eingestellten Radios.
Ein schwarzer Marine mit einem goldüberkronten Schneidezahn saß auf einem Stapel Sandsäcken neben seinem Rock'n Roll plärrenden Radio. Sein Stahlhelm stand, zur Hälfte mit milchigtrübem Wasser gefüllt, vor ihm auf der Erde. Sein Gesicht war mit Schaum bedeckt, er reckte den Hals, um sich unter dem Kinn rasieren zu können, und rollte dabei die Augen nach unten, um in
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