[Henderson_Charles]_Todesfalle-Die_wahre_Geschicht(Bookos.org)
als wäre er allein. Er war für sie kein Fremder. Sie hatten bei der zweiwöchigen Heckenschützenausbildung sowohl in Da Nang wie in Camp Pendleton von ihm gehört. Er war einer von mehreren Marines, die ihre Ausbilder ihnen als beängstigendes, übermenschliches Beispiel vorgestellt hatten, als Inbegriff dessen, was sie selbst anstreben sollten. Nun war der Mann mit der weißen Feder hier, und sie gehörten ihm mit Leib und Seele. Noch ehe Hathcock ein Wort gesagt hatte, konnte er sich bereits ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein.
Hathcock sah auf seine Uhr, als der sonnengebräunte Marine mit den abgeschnittenen Hosen ihm zurief: »Staff Sergeant Hathcock, wir sind vollzählig — zweiundzwanzig Heckenschützen, Sie eingeschlossen.«
Das Bild, das sich Hathcocks Augen jetzt bot, sollte ihm für den Rest seines Lebens lebhaft in Erinnerung bleiben. Er mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut herauszulachen. Seine Männer standen in einer Aufmachung vor ihm, die so bunt und vielfältig war, wie er es noch nicht gesehen hatte. Die meisten der Marines trugen Baskenmützen, einige braun, andere schwarz, manche rot und wieder andere grün. Ein Marine trug einen Buschhut, aber mit einer solchen Kollektion von Anstecknadeln und Knöpfen darauf, daß er damit eher wie ein Angler oder ein Kongreßteilnehmer aussah. Viele der Männer hatten Sonnenbrillen mit Drahtgestell und Gläsern in den unterschiedlichsten Farben, blau, dunkelgrün, gelb, rosa und kirschrot aufgesetzt. An den Ketten ihrer Erkennungsmarken waren alle möglichen Gegenstände befestigt, von Bieröffnern und goldenen Ringen bis zu religiösen Medaillons und Protestsymbolen. Mehrere der Baskenmützen waren mit Blumen geschmückt, andere mit Federn und Perlen.
Keiner der Männer trug ein Hemd, alle hatten sich die Hosen abgeschnitten. Ihre Stiefel sahen so aus, als seien sie noch nie geputzt worden, und alle Marines hatten einen Haarschnitt dringend nötig.
»Sie nehmen jetzt diese lächerlichen Kopfbedeckungen ab und werfen Sie genau hier auf einen Haufen«, befahl Hathcock und deutete vor sich auf den Boden. Dann sah er den sonnengebräunten Marine an und fragte: »Sehen Sie den Generator da oben am Hang?«
»Ja, Sir.«
»Sehen Sie auch den Benzinkanister daneben?«
»Ja, Sir.«
»Bringen Sie ihn her.«
Der Marine stürmte den Hügel hinauf, packte den Kanister und kehrte, von der Anstrengung schwer atmend, zurück.
Hathcock schüttete den Rest Treibstoff aus dem Kanister auf den Haufen von Baskenmützen. Dann warf er den Behälter dem braunen Marine zu, zog sein Zippo-Feuerzeug aus der Tasche, ließ es aufschnappen und setzte die Baskenmützen in Brand.
»Daß Sie diese abgeschnittenen Hosen ausziehen, verlange ich nur deshalb nicht, weil ich weiß, daß Sie keine Unterhosen anhaben und weil ich nicht möchte, daß Sie hier mit nacktem Hintern rumlaufen. Aber von jetzt an werden Sie zu jedem Appell in einem kompletten Arbeitsanzug erscheinen. Ich verlange, daß Sie aussehen wie Marines und nicht wie Clowns.
Von jetzt an werden Sie aussehen wie Heckenschützen und sich auch so verhalten. Sie sind nicht besser als jeder gewöhnliche Soldat, also kleiden Sie sich auch nicht anders. Doch weil Sie Heckenschützen sind, erwarten diese gewöhnlichen Soldaten mehr von Ihnen. Man hat ihnen gesagt, daß Heckenschützen diszipliniert und hart, daß sie Elitesoldaten sind. Es waren viele gute Marines nötig, um diesen Respekt aufzubauen, und ich werde nicht zulassen, daß Sie ihn kaputtmachen.
Das einzige, was Sie von jetzt an um Ihren Hals tragen werden, sind Ihre Erkennungsmarken, mit Klebeband zusammengehalten, damit sie nicht klappern. Wenn Sie eine Brille tragen, dann nur die offiziell ausgegebenen, alles andere muß von mir persönlich genehmigt werden. Den Rest dieses Schrotts lassen Sie verschwinden. Soweit irgendwelche Fragen?«
Ein Marine hob die Hand, und Hathcock zeigte auf ihn:
»Ja?«
»Staff Sergeant Hathcock. Als wir hierher kamen, haben wir unsere Gewehre auf fünfhundert Meter eingestellt, aber in den letzten drei Monaten haben wir, glaube ich, alle miteinander nicht mehr als ein Dutzend Abschüsse gemacht.
Wir konnten zwar nicht sehr oft auf Patrouille gehen, weil wir so viel Latrinendienst schieben mußten, aber wenn wir rausgehen, setzen wir offenbar die meisten Schüsse daneben.«
»Klingt einleuchtend«, sagte Hathcock. »Jetzt möchte ich erst einmal ein Namensverzeichnis. Heute abend werde ich Sie paarweise einteilen. Morgen
Weitere Kostenlose Bücher