Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
auf. Sie sind gesünder als vorher, hab ich den Eindruck. Sogar den Pflegedienst für die Bettlägerigen organisieren sie selbst.
Auf dem Weg in die Hauptstadt machen wir zwei Klopausen, die erste nach sechs Kilometern an einer Tankstelle in Starnberg, die zweite am einzigen Rastplatz der Autobahn. Bei dreißig Kilometern bis München ist das eine Leistung.
«Wart’s ab, bis du selbst tröpfelst», sagt die Burgl und klettert gekrümmt aus dem Bus. Doch dann sehen wir endlich Blasi und Stasi, die zwei Turmspitzen der Frauenkirche, quasi das Pendant zu unserem Dorf. Auch unsere sind unterschiedlich hoch. Nur dass sie in Pöcking weiter auseinanderstehen. Aber mit etwas Phantasie … Ich merke, wie es mir schon ein bisschen flau ums Herz wird. Heimweh.
Nach so kurzer Zeit schon. Die Alten lenken mich von meiner Wehmut ab, sie applaudieren so kurz vor dem Ziel, als wäre ich dabei, die Olympiade zu gewinnen. An der Hutschachtel in der Nähe der Donnersberger Brücke lade ich den Rossi mit seinem Rollstuhl aus. So heißt das auffällige Gebäude der S-Bahn-Betriebszentrale wegen seiner runden Form. Ich will ihn noch durch die Schranke mit Pförtnerhäuschen zum Eingang begleiten, aber er winkt ab. Er käme nun allein zurecht, will einfach nur seine ehemaligen Arbeitskollegen besuchen, versichert er mir und gibt mit den Handflächen Gummi. Ich soll ihn später wieder genau an dieser Stelle abholen.
Weiter geht’s geradeaus, direkt in die Innenstadt. Dort dirigieren sie mich zum Parkhaus am Sendlinger Tor. Obwohl es ein warmer Frühlingstag ist, als wir nun aus dem dunklen Betongebäude ins Sonnenlicht treten, drapieren die Textilstubenzwillinge ihre selbstgemachten Tücher um Schultern und Hals. Aber nicht nur sie: Alle, außer der Ayşe, die ihr Kopftuch nie ablegt, binden auf Anweisung vom Panscher einen Schal oder ein Halstuch um, bevor sie losgehen.
«Der Sonne fehlt noch die Kraft, haltet euch lieber warm. Nicht, dass sich noch einer von uns verkühlt.» Der Panscher hat seine Truppe im Griff. Im 518 Meter über dem Meeresspiegel liegenden München kommt es mir zwar wärmer vor als bei uns droben auf 672 Meter, aber sie räuspern sich und hüsteln nach dem Apotheker seiner Anweisung schlagartig umeinander, als hätte ich sie zu einer Antarktisspritztour gekarrt.
«Äh, du hast frei bis zur Heimfahrt.» Der Panscher bremst mich, wie ich die Ärmel meines Pullis hochschiebe und ihnen mit der Emma an der Hand hinterherdackeln will.
«Sollen wir euch nicht besser begleiten?», frage ich.
«Nein, nein. Macht euch einen schönen Tag. Kauf deiner Tochter was Nettes zum Spielen und dir eine Leberkässemmel oder was du halt magst.» Er drückt mir hundertfünfzig Euro in die Hand und grinst mich an. «Quittung brauch ich keine.»
«Treffpunkt spätestens um sechs beim Parkhaus. Servus.» Wer von denen hat denn da im Lotto gewonnen? Oder hat die Emma das jetzt doch noch mit dem Zahlenvorhersagen heraus? Verblüfft sehe ich den Alten nach, wie sie auf die nächstbeste Apotheke zusteuern.
«Komm, Papa, ich will einen Zauberkasten.» Meine Tochter zerrt mich Richtung Marienplatz.
Vom Zauberkasten ist meine Tochter enttäuscht. Gleich nach dem Bezahlen hocken wir uns in der Kaufhaustür an die Wand, dorthin, wo es die Leute mit einem Föhn hineinbläst in den Konsum.
Emma reißt die Schachtel auf. «Der kann ja gar nichts richtig, Papa», stellt sie nach einer kurzen Überprüfung fest. Und wirklich, obwohl der Kasten eingeschweißt war, sind schon ein paar Sachen beschädigt. Eine Karte des Kartenspiels ist markiert, der schwarze Beutel, in dem ein Gegenstand verschwinden soll, hat eine Innentasche. Das eiähnliche Ei ist schlecht gemacht, mit Nähten an den Hälften, wo es zusammengepappt wurde. Von was für einer Vogelart soll das überhaupt sein? Für ein Hühnerei ist es zu klein und für ein Wachtelei zu weiß. Und einer von den Ringen, die man ineinanderzaubern soll, hat einen Riss. Fad, das Ganze, ich muss Emma recht geben, welch ein Glump. Fürs Umtauschen ist es zu spät, jetzt wo die Folie ab ist, das glaubt uns die Verkäuferin bestimmt nicht, dass uns der Kasten im Föhnwind runtergefallen ist. Wie ich die Stadtmenschen kenne, wissen die nicht mal, wie ein richtiges Ei aussieht. Bei denen kommt doch die Milch aus dem Zapfhahn, gleich neben dem Bier, und die Kühe sind schokoladenpapierfarben. Ich werde versuchen, die Teile zu reparieren, wenn die Emma überhaupt noch damit spielen will. Auf
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