Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
schließt, laufe ich den Gang weiter in der Hoffnung, endlich ein Klo zu finden. Inzwischen herrscht Alarmstufe dunkelgelb. Ein Behindertenklo ist ausgeschildert. Wenn wer fragt, wird mir schon ein Wehwehchen einfallen, hinterher. Ich rüttle an der Klinke. Besetzt.
«Moment noch.» Die Stimme kenne ich doch, na also.
«Schick dich, mir pressiert’s.» Ich beiße die Zähne zusammen und alles andere auch. Endlich höre ich die Spülung, was bei mir fast die Schleusen öffnet. Der Rossi rollt raus, sein Laptop auf dem Schoß. Mei, manche lesen ein Buch, um den Darm anzuregen, manche rauchen, er surfbrettelt halt durch die virtuelle Welt. Scheiß drauf, ich hab’s eilig und dräng mich an ihm vorbei.
Auf der Rückfahrt öffnet die Gretl ihren Eierlikör, und wir stoßen auf den erfüllten Tag an. Sechsundneunzig Prozent reinen Alkohol tut sie da rein, den kriegt man eigentlich nur in Österreich, deutsche Apotheken verkaufen den nicht rezeptfrei, behauptet sie.
«Also deshalb sollte es ursprünglich dort hingehen?», frage ich.
«Nicht nur, auch wegen der Salzburger Nockerl, die wollte der Rossi schon immer mal probieren, stimmt’s?» Ich sehe in den Rückspiegel. Der Rossi nickt, oder vielleicht lag’s auch an der Bodenwelle, über die ich gerade geholpert bin.
«Ach, deshalb wart ihr in der Apotheke?», frag ich. «Dann hat der Panscher seine Beziehungen spielen lassen, und ihr habt Nachschub gekriegt?»
«Nachschub?» Die Gretl wirkt, als hätte ich sie bei etwas ertappt.
«Na, den Alkohol, für deinen Eierlikör.» Mal schauen, wie sie reagiert auf meinen kleinen Test.
«Ja, genau, für den Eierlikör», sagt sie schnell, zu schnell. Ich mustere sie und auch die anderen in Fidls fahrbarem Wohnzimmer. Die einen fangen gschwind eine neue Backgammonpartie an, die anderen eine Handarbeit, als wäre nichts gewesen. Einen halben Schlauchsocken hat die Erna bereits fertig. Die Berta erklärt meiner Tochter das Häkeln. «Faden holen, einstechen, Faden holen und durchziehen», sagt sie übertrieben laut, als sie meinen Blick bemerkt. Aber so viel Eierlikör kann ganz Pöcking auf keinem Straßenfest saufen, nicht einmal auf einer Jahrhundert- oder Tausendjahrfeier. Ich hab die Kanister gesehen, die sie mit ihren Halstüchern in den Kopfkissentüten verbergen wollten. Einen Ochs für eine Kuh wollen sie mir vormachen, doch ich komme ihnen schon noch drauf, so wahr ich ein Halbritter bin.
Wie ich mich auf der Garmischer Autobahn einfädle, beginnen sie Volkslieder und deutsche Schlager zu schmettern, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr gehört habe. Nach ein paar Kilometern bin ich fei froh, dass die beiden Kirchturmspitzen von Pöcking in Sicht kommen.
Kurz vor halb neun setze ich jeden aus der Rentnerbande bei sich zu Hause ab und kurve zu uns ans Ende der Starnberger Straße. Ich freu mich, als ich die Isetta im Hof stehen sehe. Meine Frau ist daheim! Doch dann kriege ich die Haustür kaum auf. Ich stemme mich dagegen und schiebe sie mit aller Kraft auf. Sophies Jacke hat sich unter das Türblatt geklemmt. Merkwürdig still ist es. Vielleicht arbeitet meine Frau im Garten und düngt ihre Rosen? Zwischen dem wuchernden Unkraut vom letzten Jahr sehe ich sie oft nicht gleich. Oder hat sie sich hingelegt?
«Nepomuk?» Auweia, wenn Sophie meinen vollständigen Namen ruft, verheißt das meist nichts Gutes. Ich glaube, ich lasse besser die Schuhe an und hole lieber erst mal die Schafe. Melken und alles. Nach der Zwiebi muss ich sowieso schauen, nicht, dass sie gerade lammt und es zu Komplikationen …
«Hierher, Nepomuk!»
Emma rennt voraus. Ich lausche einen Moment an der Tür, um herauszuhören, wie die Stimmung ist. Mutter und Tochter höre ich reden, aber ich verstehe nichts.
Vorsichtig schleiche ich in die Küche. Die Milch steht in Flaschen abgefüllt, für die Laufkundschaft bereit. Melkkübel, Sieb und Filter sind ausgewaschen. Geschirr stapelt sich auch keines mehr, die Spüle ist poliert, und sogar der Lappen ist gefaltet. Alles ist aufgeräumt, sogar die Zehn-Zentimeter-Kante der Eckbank, die ich als Büro benutze, ist sortiert. Hat Sophie so perfekt aufgeräumt? Sie muss doch total müde von den Ermittlungen sein? In einem Becher horte ich abgebrochene Bleistifte, ausgetrocknete Filzstifte, selten ist ein funktionierender Kugelschreiber darunter. Mein Adressbuch und das Wichtigste, mein Schafbuch, sind ordentlich, Kante auf Kante, abgelegt. Geburt und Tod und das Ganze dazwischen halte ich
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