Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
Talkshowsofa herunter. Horrorstunde pur, für mich. Heimfahren wird er mich wohl kaum, doch da wendet er am Ortsende in der Konrad-Krabler-Kurve, biegt aber nicht ab, sondern rollt die Dorfstraße wieder zurück. Beim zweiten Mal hängen die Oberkörper der Bürger schon aus den offenen Fenstern. Hier und da wird eine Haustür aufgerissen. Wieder geht’s bis zur Apotheke und zur Hendlbude, wo mein Radl noch am Gartenzaun lehnt.
«Ist gut jetzt», brülle ich gegen die Sirene an. «Du kannst mich rauslassen.»
Er reagiert nicht, dreht erneut und fährt wieder runter. Ich hänge am BMW -Pranger und werde begafft. Hastig, sich die Bademäntel verknotend und in die Schlappen geschlüpft, zieht es die Leute nach draußen auf die Straße. Eilig schlurfen sie näher, als würde ein Außerirdischer, frisch aus einem Kornkreis gepflückt, seine erste Vorführrunde durchs Dorf absolvieren. Ihre Gesichter kann ich nicht erkennen, so vom Hellen nach draußen, aber von den Wohnsitzen her weiß ich, wer da lurt. Der Wolfi quält den Wagen weiter vorwärts. Dann schaltet er zu meiner Erleichterung die Sirene aus, zurrt die Scheibe runter und hängt den Ellbogen aus dem Fenster. Wenn’s ein Cabrio gewesen wäre, hätte er bestimmt noch das Dach aufgefaltet. Alle rennen her. Ich zapple wie ein Fisch an der Angel. Meine Mitbürger klatschen begeistert an die Autoscheibe. Manche probieren sogar, die Tür zu öffnen, und da bin ich dann wiederum um die Verbrechersicherung froh. Wer weiß, was sie sonst mit mir anstellen würden? Ich sehe mich schon am nächsten Laternenpfahl hängen. Ich schließe die Augen und höre umso besser, was sie im Schutz der Dunkelheit loswerden wollen:
«Warte, das ist ja der Halbritter, ich glaub’s nicht!»
«Hat es den jetzt endlich erwischt? An dem war immer schon was faul.»
«Sein freundliches Getue, das war doch nur vorgeschoben, damit er uns ausspionieren kann.»
«Ganz der Vater.»
«So ein Siebenundvierzigelfer.»
«Ein was?»
«Das erklär ich dir später unter vier Augen.»
«Ein scheinheiliger Schleimer.»
«Genau.»
«Stimmt.»
«Sag ich ja gerade.»
«Was hat er ausgefressen, Wolfi, red?»
«Hat er etwa den Hendlwickerl auf die Seite geräumt?»
Am liebsten würde der Wolfi mit mir noch zehnmal die Dorfstraße rauf- und runterkriechen, aber der Tank wird ihm langsam leer, und der Motor scheppert, vom vielen Im-ersten-Gang-Fahren. Also beschleunigt er dann doch mal hinterm Ortsschild in Pöcking Nord, und wir fahren auf die B 2 nach Starnberg. Ich könnte ihn was fragen oder er mich. Wir könnten über früher reden oder übers Wetter oder ob er eine Vermutung hat, wer denn jetzt den Hendlwickerl wirklich umgebracht hat. Aber ich bin zum Umfallen müde und weiß auch nicht so recht, wie anfangen. Was denkt sich der Kerl? Bloß weil er eine bezahlte Nachtschicht hat, muss ich ihm den Verbrecher spielen. An der ersten Ampel, als wir in Starnberg reinfahren, probiert er das Gleiche wie in Pöcking, schaltet das Martinshorn wieder ein, gerade wie ich auf meinen eigenen hängenden Armen einnicken wollte. Doch die Kreisstadt ist nun mal kein Dorf. Kein Rollo geht hoch, kein Licht wird angeknipst. So Stadtmenschen hören die Sirene vermutlich den ganzen Tag, da wird ständig wo einer verhaftet, und sie müssen bei dem Geräusch eher schauen, dass sie ihre Sachen selber verräumen, damit sie nicht als Nächstes dran sind. Außerdem kennt mich keiner hier, wen juckt es, dass ich eine Fahrt zur Polizeistation spendiert bekomme. Am Tutzinger Hofplatz lässt die Sirene nach.
«Scheiß-Solar», schimpft der Wolfi. Ich wusste gar nicht, dass das Martinshorn mit Sonnenenergie läuft. Ist halt blöd bei einem Nachteinsatz. Mir surrt es trotzdem noch im Schädel, und ich frage mich, wie ein Polizist das nur aushält, die Wagen müssten eigentlich nach innen hin schalldicht sein, gegen sich selbst isoliert, gegen das Polizistische.
Solar sei Dank rollen wir aber nun fast geräuschlos in seine Wache, wo er sich bestimmt einen größeren Auftritt erhofft hat. Ich mucke nicht auf, als er mich auffordert auszusteigen, und meine Hände wieder hinterm Rücken zusammenkettet. Hauptsache, das Spektakel hat bald ein Ende und ich darf ins Bett.
Der Kollege an der Pforte schreckt von seinem Sudoku auf, durchtrennt einen Spuckefaden mit dem Kugelschreiber, der sich zwischen der Sieben in einem Kästchen und seinem Mundwinkel zieht, und zeigt auf mich. «Den kenn ich doch.» Er kratzt sich an der
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