Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
nicht?»
«Jjjaa, Maamaa.» Langsam schnaufe ich aus, die Nase von einer Schnur platt gedrückt.
«Was ja?»
«Ich such weiter nach dem Papa, versprochen. Auch wenn ich jeden Kieselstein und jeden Bierdeckel am Seeufer umdrehen muss.» Die Nadeln klappern erneut, enger und enger batzt es mich zusammen. «Auftrennen, Mama, bitte. Auf-treee-ääänen!»
«Tränen, mein Liebster? Hast du einen Albtraum? Wach auf!» Jemand streicht mir übers Gesicht. Schweißgebadet öffne ich langsam ein Auge, dann das andere. Ich begreife, dass ich gar nicht bei uns zu Hause liege. Zuerst glaube ich, ich bin im Krankenhaus, in einer Abstellkammer, nicht so einem Luxustempel, wo der Fidl logiert. Ich taste an mir runter, Strickpulli, meine Socken, ein, zwei, drei Paar übereinander, noch von der Mama auf fünf Nadeln zusammengeklappert. Extrastabilwolle, die ewig hält, wenn man mit der Hornhaut aufpasst und nicht strumpfsockig zum Briefkasten rennt. Ich atme auf. Kein Verband, nichts tut mir weh. Aufs Klo müsste ich mal, mein Inneres springt an, wie üblich, aber noch kann ich es verzwicken. Dann dämmert es mir. Kein Krankenhaus. Und die Mama ist fort für immer und mein Papa vermutlich auch. Das Versprechen, das ich meiner Mutter auf dem Sterbebett gegeben habe. Na ja, Versprechen ist vielleicht zu viel gesagt. Direkt «nein» wollte ich nicht sagen bei ihren letzten Schnauferern, deshalb hab ich halt genickt, ganz schwach nur. Und gehofft, dass einer meiner Brüder, die schon nicht mehr zu Hause wohnten, es doch noch über den Weißwurstäquator zur Tür herein schafft und mich unterstützt.
Nachdem mein Vater abgehauen ist und meine Brüder mit der Mama zusammen die Landwirtschaft allein betreiben mussten, hat der Florian aufs Geld umgeschult, weil da mehr zu holen ist als auf einem Biobauernhof. Und wenn die Aktien von alleine klettern, dann klettert er in der Weltgeschichte herum, im Himalaya zum Beispiel, ohne Strümpfe und Schuhe. Das Barfußlaufen hat der Emil von ihm geerbt. Ab und zu schreibt der Flori uns eine Postkarte, die aber meist erst ankommt, wenn er schon auf einem anderen Kontinent herumstakst. Und der Martin, der Älteste, wendet sein gelerntes Wissen, Vaterersatz zu sein, in seinem Beruf an: Er arbeitet als Familientherapeut in Dresden. Weit weg von Bayern musste er Hochdeutsch lernen, um sich ins Sächsische einzufühlen. Fremder Leute Probleme sind ja auch einfacher, als vor der eigenen Haustüre zu kehren.
Deshalb war nur ich in der Sterbestunde bei unserer Mama, und so konnte sie mich viel zu leicht überreden. Bei ihrer Beisetzung, wie ich die Erde auf ihren Sarg geworfen habe, hat es dann in meinem Hirn zu blinken angefangen.
Als hätte die Mama mir ein elektrisches Grablicht eingepflanzt: «Bub, vergiss dein Versprechen nicht!» Meinen Papa, den Simon, soll ich finden und zu ihr legen. Ich hab noch gehofft, dass sie mir zumindest sagt, wo ich zu suchen anfangen soll. Aber nix. Nur diese ewige Blinkerei.
Sonnenstrahlen haben es durch die Gitterstäbe bis in mein Verlies geschafft. «Wie lang bist du schon hier?», frage ich die Sophie, die mir mit ihrem Ärmel den Schweiß von der Stirn tupft.
«Lang genug. Ich hab gesehen, wie du mit jemandem im Schlaf gekämpft hast.» Sophie beugt sich über mich, ich hoffe auf einen Guten-Morgen oder Wie-viel-Uhr-auch-immer-Kuss, doch sie flüstert mir ins Ohr: «Was jetzt kommt, muss leider sein. Du hast mich echt in Schwierigkeiten gebracht, Muggerl.» Na ja, so schlimm kann’s nicht werden, wenn sie mich so nett ruft. Plötzlich springt sie von der Pritsche, stampft mit den Pumps auf, wedelt mit den Armen, schimpft, schreit, staucht mich zusammen, dass ich liegend einen Kopf gekürzt werde. Rumpelstilzchen, der siebte Zwerg, die Trollkönigin und die Kriegsgöttin zugleich sind ein Dreck dagegen. Ich verstehe nur die Hälfte von ihrem Gezeter und reime mir in etwa zusammen, auf was sie hinauswill.
Was ich mir dabei gedacht hätte, nachts in einen versiegelten Tatort einzubrechen? Ob ich nicht kapiere, was das für sie als Ermittlerin bedeutet? Die würden sie wegen Befangenheit suspendieren, kaum dass sie ihren ersten Tag in Fürstenfeldbruck hinter sich gebracht hätte!
«Und spar dir deine Rechtfertigungen, ich will nichts hören.» Dabei hab ich noch nicht mal den Mund aufgetan.
«Du hast wichtigstes Beweismaterial zerstört.»
«Zerstört?» Das will ich nicht auf mir sitzen lassen. «Ihr habt doch den Stecker gezogen, sodass die Hendl
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