Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
schwer zu beurteilen, müsst ich probieren. Die Seitentür ist versiegelt. Mit dem Schraubenzieher von meinem Taschenmesser heble ich das kleine Fenster auf, zieh ich mich hoch, quetsche mich durch und krabble in den Innenraum. Bevor ich drin bin, sehe ich noch, wie über dem Fischladen Licht angeht. Der Kraulfuß Fritzl wird zum Pieseln müssen. Wonach ich genau suche, weiß ich gar nicht, einfach nur irgendwas, was die Sophie vorwärtsbringt und ihr morgen, an ihrem zweiten Tag, weiterhilft. Wenigstens das Messer vom Fischzerschnippler muss doch irgendwo sein. Dann hat sie einen Verdächtigen, was schon mal ein Anfang wäre. Einer ist besser als keiner.
Aber Fehlanzeige. Messer liegt keines mehr herum, logisch. Vielleicht hat’s die Polizei mitgenommen. Doch dann hätte es die Sophie erwähnt, oder nicht? Je länger ich darüber nachdenke, desto bunter malt sich das Bild in meinem Hirn, fast wie die schwere Ölfarbe vom Fidl dringt es in meine Zellen vor und verewigt sich dort. Ich weiß, was ich gesehen hab. Jetzt steht die Gefriertruhe auf, die hat irgendwer abgeschaltet. Den Strom hat sich der Wickerl immer mit einem Verlängerungskabel aus der Apotheke geholt. Für einen Toten brauchst du keine Energie mehr zu verschwenden, also wird die Leitung gekappt. Ein paar aufgeweichte Hendln dümpeln noch am Grund der Truhe im Schein meiner Lampe dahin. Es schaut aus, als würden sie kopflos weinen. Auch eine Kunst.
Dem Wickerl seine Brathendl waren die billigsten weit und breit. Zwar konnte er mit keinem Tiefkühlsupermarktbroiler konkurrieren, aber mit verzehrfertigen Teilen anderer Hendlbuden schon. Jeder hat sich gefragt, wie er den Preis halten konnte. Die Butter wurde teurer, die Fernsehgebühren und die Krankenkasse, aber die Hendl beim Wickerl kosteten immer gleich viel. Vielleicht hat er abgelaufene Ware umverpackt, und irgendwer ist ihm draufgekommen? Deswegen spießt man keinen auf, oder doch? Das muss ich mir genauer anschauen. Ich hebe alle fünf Hendln heraus und lege sie nebeneinander auf die Theke. Zwei haben am rechten Stumpenhaxen eine Schnur, so eine ähnliche, wie ich sie am Morgen als Absperrung genommen habe, die mäuseresistente. Nur durchsichtig, nicht blau wie meine. Gehen die Mäuse jetzt auch schon an die Gefriertruhen? Man weiß ja nie. Oder hat er bei den gekennzeichneten Hendln eine neue Füllung ausprobiert? Ich ziehe die Petersilienfüllung heraus und noch ein Plastikpäckchen hinterher. So wie das, wo immer die Innereien drinstecken, nur kommt keine Leber zum Vorschein und auch kein Herz. Der Inhalt glitzert im Licht der Fahrradlampe. Diamanten? Das kann nicht sein. Ich untersuche das Päckchen genauer. Sieht wie Kandiszucker aus. Aber warum ist der verpackt? Also vielleicht doch ein neues Rezept, zusätzlich zu seiner Marinade? Merkwürdig. Mich erinnert es eher an so Drogendinger, von denen die Sophie erzählt hat. Gesehen habe ich so was noch nicht, aber von der Beschreibung her könnte es schon passen. Drogenhühner? Was es nicht alles gibt. Warum hat die der pfundsgescheite Jäger Wolfi nicht gefunden und meine liebste Sophie auch nicht?
Draußen fährt ein Auto vorbei, das heißt, es fährt gar nicht vorbei, sondern bleibt vor dem Hendlwagen stehen. Der Motor geht aus. Hastig will ich die Radlampe ausschalten, zu spät, sie fällt mir vom Eistruhenrand.
Die Budentür fliegt auf, ich blicke in die Mündung einer Pistole.
«Hände hoch oder ich schieße.» Davon hat er schon als Kind geträumt, wenn wir Winnetou und Old Shatterhand gespielt haben. Er natürlich Old Shatterhand mit Gewehr und ich nur stumpfe Pfeile. Nicht mal einer von den spitzigen vom Wickerl steht noch herum, mit dem ich mich wehren könnte.
«Nimm besser den Ballermann weg, bevor es noch kracht und wer aua schreit.» Ich gehe einen Schritt auf ihn zu und will ihm alles erklären. Für einen Augenblick fühle ich mich, wie der Wickerl sich in seiner Todessekunde gefühlt haben muss. Der war genau hier gestanden, und jemand, ein Mörder, ist durch die Budentür rein und hat ihn abgemurkst. Mein Exfreund fürs Leben schiebt seinen Colt tatsächlich wieder in sein schickes Gürteltäschchen zurück. Ich denk schon, er ist zur Vernunft gekommen, hat mich nur ein bisschen piesacken wollen, da packt er meine Arme und verdreht sie, dass ich die Sterne sehe, obwohl die durchs Budendach gar nicht scheinen. Diesmal klicken die Handschellen, autsch.
«Aua, Herrschaft, das ziept.» Der Jäger Wolfi will mir, glaube
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