Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
eingesperrt? Egal, die Arbeit gehört erledigt. Das fußballrasenkurzgefressene Viereck von heute ist noch eingefasst. Ich ziehe die dünnen Zaunstangen nacheinander aus dem Boden, dabei muss ich aufpassen, dass mir das geknotete Maschennetz dazwischen nicht verwurschtelt. Also, schön langsam schreite ich, die Stangen waagrecht an der Seite haltend, Schritt für Schritt voran und bündle den Zaun sorgfältig in meinen Armen. Auf einem neuen Wiesenstück ramme ich die Eisenspitze des ersten Plastikpfahls wieder in den Boden, spanne das Netz und stecke den zweiten fest. Etwas haucht mich an.
«Wassasdugemacht.»
«Hä?»
« WASASSDUGEMACHT .»
Das Gemurmel kitzelt, als ob mir jemand am Ohrläppchen knabbert. Ist Herzchen etwa ausgebüxt? Ich drehe mich um, entdecke aber niemanden. Dabei bleibe ich im Zaun hängen, stolpere und verfange mich in den orangefarbenen Maschen. Je mehr ich nach dem Anfang suche, umso mehr verheddere ich mich.
«Was hast du gemacht?», ruft die Stimme nun deutlicher.
Die spitzen Stangen bohren sich wie von Geisterhand zwischen meinen Zehen in den Boden, rund um mich herum, und wickeln mich in ein immer dichter werdendes Netz ein.
«Bist du wieder auf der Friedhofsmauer spaziert?»
«Das würde ich mich nie mehr trauen», presse ich zwischen einem orangenen Schnurzaunknebel hervor, zu wem auch immer. Mit sieben oder acht Jahren habe ich das getan, und zu Hause erwartete mich dafür ein Donnerwetter, wie ich es als Jüngster selten erleiden musste. Trotzdem verstehe ich bis heute nicht, warum man dort nicht balancieren darf, außer natürlich, dass man stürzen könnte, zwei, drei Meter hinunter. Die Mauer verläuft um den alten Friedhof bei der Ulrichskirche und fällt dann in Richtung St. Pius steil bergab. Das ist gerade der Nervenkitzel. Fällst du auf den geteerten Fußweg, bist du vielleicht hin, landest du auf einem Grab, schrammst du dir lediglich die Knie auf. Ob das die Toten juckt, wenn ein Kind auf ihrer Mauer herumläuft? Apropos Tote. Mir geht ein Licht auf. Ich suche den Himmel ab, die Baumwipfel und den Waldrand. Ganz hinten auf der Bank sitzt jemand und winkt mir mit dem Strickzeug. Das kann nur meine Mama sein, bis hierher höre ich ihre Nadeln klappern. Ein leuchtender Faden läuft von ihr durchs Gras, über die Maulwurfshügel bis zu mir. Zaunviereck für Zaunviereck umstrickt sie mich. «Sag’s mir, los!»
«Mama, ich bin brav, ehrlich, und das mit dem Wickerl war ich nicht. Ich wollte doch nur der Sophie helfen. Ich wusste nichts von Drogen oder was auch immer diese Kristalldinger sein sollen.» Wie eine Roulade fühle ich mich oder besser wie ein Krautwickerl. Der Zaun dreht sich, die Metallspitzen reißen den Boden auf, ich versinke langsam in der Erde. Je mehr ich zerre, desto fester dreht es mich ein.
« MAMAAAA », flehe ich.
Sie strickt erst die Nadel ab, bis sie mich wieder beachtet. «Du weißt, was ich hören will?»
Weiß ich nicht oder doch, aber wie soll ich es sagen? Und wenn das so weitergeht, bringe ich rein technisch auch nichts mehr raus. Je mehr sie strickt, desto enger wird das Geschnürsel um mich rum.
«Kann sie es inzwischen?»
Mit
sie
meint sie meine Frau. Das war die erste Frage von ihr an die Sophie, als sie sich bei ihr vorgestellt hat. Schonend wollten wir meiner Mama beibringen, dass die Sophie, eine Ungetaufte, nicht direkt groß, sogar noch zwei Zentimeter kleiner als die Mama selbst, und eine Künstlertochter, von mir schwanger war. Da waren wir noch nicht verheiratet.
«So.» Die Mama hat damals nur kurz von ihrem Strickzeug aufgeschaut. «Kann die da, deine Zukünftige – heiraten werdet ihr ja hoffentlich –, Socken stricken? Der Muck hat immer kalte Füße.»
«Hab ich nicht.»
«Ja, weil du meine Selbstgestrickten trägst.»
«Stimmt.» Nachdem dann an unserer Hochzeit Sophie in einem Aufwasch getauft, kommuniziert und gefirmt wurde, war der Dorftratsch gedämmt.
«Die Sophie strickt gelegentlich», versuchte ich die Mama zu besänftigen. Ich kann mich zwar nicht erinnern, wann das das letzte Mal gewesen ist. Doch, halt, als die Emma in der Schule Häkeln gelernt hat, hat auch die Sophie ein paar Reihen drangesträkelt. Aber Häkeln und Stricken ist nicht das Gleiche. Ob sie damit bei der Mama durchkommt? Aber das war damals, jetzt ist jetzt. Gefangen im Maschendrahtzaun. Die Mama hält inne. Ich halte die Luft an. Was kommt nun?
«Und denkst du auch noch dran, was du mir versprochen hast? Nepomuk, hörst du
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