Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
Taschentücher mit aufgedruckten Bärenköpfen. Diese Freundlichkeit rüttelt uns auf. Wir schnäuzen uns. Ich schlage der Amrei vor, sie zu ihrem Opa zu begleiten. Auf dem Weg nach Possenhofen hinunter erzähle ich den beiden, wie ich die Christl gefunden hab und vom Schorschi, der uns in die Wohnung geführt hat. Als uns dann der Früchtl Walter das Schlossportal öffnet, fall ich ihm, kaum dass ich die Todesbotschaft überbringe, in die Arme und dingse ihm mein Beileid, wünschen kannst du da ja nicht sagen. Zweiundzwanzig Jahre war er evangelischer Pfarrer in Pöcking, für jeden hatte er immer so schön-tröstende Worte parat, und auch jetzt klopft er mir auf den Rücken und gibt mir, als wir die breiten Stufen in die zweite Schlossetage raufgestiegen sind, eine frische Packung Taschentücher. Seinen Lebensabend verbringt er unterm Walmdach vom Sisi-Schloss mit den vier quergestellten Ecktürmen, wo die spätere Kaiserin Elisabeth von Österreich und Ungarn aufgewachsen ist. Wenn du dran denkst, wer dort nach der Sisi alles gehaust hat! Unterm Zweiten Weltkrieg die Sanitäter der Luftwaffe, dann war es ein Lazarett und danach eine Fahrrad-Hilfsmotoren-Fabrik. Zuletzt diente es als Schafstall. Da war aber die komplette Inneneinrichtung bereits ausgeräumt oder zerstört. Höchstens noch die ein oder andere goldene Quaste hing zum Knabbern vor den zerbrochenen Fensterscheiben. Als das Schloss 1981 komplett renoviert wurde, hat der Fidl das Ziffernblatt der Uhr am Türmchen der Schlosskapelle neu malen dürfen, trotz Höhenangst. Der Fidl malt die Berge lieber von unten und aus der Ferne, als dass er sie besteigt. Der Früchtl Walter bewohnt drei Zimmer, plus Wohnküche, Bad und Bibliothek in einem der vier Zinnentürme. Seine Frau, die Carmen Früchtl, eine bekannte Bildhauerin, die sogar im Buchheim-Museum der Phantasie in Bernried ausgestellt wird, ist vor acht Jahren an Krebs gestorben. Jetzt muss er auch noch den Tod seiner Tochter verkraften. Die Amrei besteht darauf, dass der Emil bei ihr bleibt. Erst wie ich allein wieder zurück nach Pöcking hochlaufe, fällt mir auf, dass ich mit Trösten dran gewesen wäre, nicht der Herr Pfarrer außer Diensten.
So ist der Höhepunkt des Jahres, zwei Tage später, von Trauer überschattet. Zwei Tote in einer Woche. Nach einiger Diskussion zwischen den drei Bürgermeistern, den vierunddreißig Vereinsvorsitzenden und den achtzehn Gemeinderäten wird die Lange Tafel nicht abgesagt. Das Wetter soll in einer Woche schlechter sein und in zwei Wochen auch, noch dazu rücken dann die Starnberger mit ihrer Nachmacherei wieder an. Zwei Lange Tafeln in zwei Orten, da könntest du fast eine ganz, ganz lange daraus machen und die sechs Kilometer zwischen den zwei Ortsschildern überbrücken. Dazu kommt noch der Kreisverkehr bei der Kaserne, so viele Tische kriegst du beim besten Freundschaftsgedanken nicht zusammen. Also bleibt es beim Sonntag. Bis dahin hat die Sophie jede Menge zu tun: Besuch in der Rechtsmedizin, im Wickerlmord und der Drogengeschichte weiterermitteln, und auch das mit dem Tatmotiv, das wir im Familienstammbuch der Früchtls entdeckt haben, muss sie auswerten. Das dauert. Derweil kümmere ich mich um alles zu Hause.
In der Nacht vor der Feier hat Emma erneut einen Albtraum. Das Kind ist aber auch geplagt, wenn ich sie doch nur besser schützen könnte! Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt schon geschlafen hab, aber meinen Armen und Beinen nach, die bleischwer ins Laken gedrückt sind, muss ich kurzzeitig weg gewesen sein.
«Paaaaapaaaa! Der Kohl ist in den See gefallen, er ertrinkt, komm schnell.»
Ich stolpere halb aus dem Bett und geh mit Emma in ihr Zimmer zurück.
«Ich wollte ihn rausfischen, aber immer wenn ich hingeschwommen bin, ist er auf einer Welle weggeflutscht.» Sie heult, und ich suche das Schaf, allein kann es nicht zum See mitten in der Nacht gelaufen sein. Bestimmt hängt der Traum mit dem Schwimmenlernen zusammen. An Emmas Badeanzug prangt zwar inzwischen ein Seepferdchenabzeichen (in Form des Starnberger Sees), aber ihre Finger wollen beim Paddeln noch nicht so recht zusammenbleiben, also platscht sie mehr wie ein junger Hund, um über Wasser zu bleiben. Schließlich finde ich das Stoffschaf unter ihrem Kopfkissen und drücke es ihr wieder in den Arm. «Hier, deinem Kohl ist nichts passiert. Trocken und gerettet ist er», versuche ich, sie zu beruhigen, und wie ich auf der Bettkante warte, bis sie wieder eingeschlafen ist,
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