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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Monate vor meiner ersten großen Ausstellung mein Atelier
     mit meinen Arbeiten anzuzünden. Ich habe denen erklärt, dass ich Paula im Atelier habe übernachten lassen, und auch den Grund,
     warum ich sie nicht mit heim genommen habe, und da haben die gesagt, das kann jeder sagen:
›Ich war’s nicht, jemand anders ist es gewesen‹,
und selbst wenn, also selbst wenn ich eine Landstreicherin in meinem Atelier hätte übernachten lassen, dann wäre das grob
     fahrlässig von mir gewesen, und ich wäre haftbar zu machen, denn ich wäre ja die Mieterin gewesen. Ich hab die |43| beiden Polizisten gefragt, was ich denn hätte machen sollen, Paula draußen in der Kälte sitzen lassen? Und dann rutschte mir
     raus: ›Scheiße, hätte ich Paula doch nur mit heim genommen!‹ Und da haben die beiden gelacht und gesagt: ›Seien Sie doch froh,
     sonst hätten Sie jetzt ’ne abgebrannte Wohnung!‹
    Gut, meine Bilder und mein Atelier waren von mir nicht versichert, wer denkt schon an so was. Aber der Eigentümer des Gebäudes
     hatte das Gebäude versichert. Aber weil die Feuerwehr eindeutig eine Brandstiftung festgestellt hatte, die man auch bedarfsweise
     uminterpretieren konnte als meine grobe Fahrlässigkeit, kam die Versicherung für den Schaden nicht auf. Das stellte sich gleich
     in den ersten Tagen nach Weihnachten heraus. Am 28. Dezember habe ich mit dem Pfarrer die Omi beerdigt, und am 29. bekam ich
     ein Einschreiben, dass ich für den Schaden in Höhe von 103 000 Euro aufzukommen hätte. Mit der Beerdigung hatte ich jetzt
     also insgesamt 107 000 Euro Schulden. Ich habe mir versucht auszurechnen, wie viele Zusatzschichten ich im Café arbeiten müsste,
     um diese Summe herbeizuschaffen, dass ich vielleicht – also wozu habe ich denn das schöne rote Rennrad – morgens vor der Arbeit
     noch Zeitungen austragen könnte, in denen ich heimlich Sugar Browns Kolumne lesen könnte, um mein Abonnement einzusparen,
     und dass ich nicht mal auf diese Weise den Betrag in einem absehbaren Zeitraum zusammenkriegen könnte und außerdem nie wieder
     die Zeit haben würde, auch nur ein einziges Bild zu malen.
    Da habe ich einen Offenbarungseid geleistet. Dazu war es erforderlich, dass meine Chefin Auskunft gab, wie viel ich monatlich
     verdiene, und sie hat natürlich wahrheitsgemäß geantwortet, dass ich mit meinen drei Schichten pro Woche mit den Trinkgeldern
     auf etwa 950 Euro monatlich komme. |44| Ein Teil davon ist sofort gepfändet worden, aber bei diesem ganzen Behördenvorgang kam natürlich raus, dass ich jahrelang
     dieses Geld schwarz verdient hatte. Man riet mir zu einer Selbstanzeige beim Finanzamt, oder man müsse mich anzeigen, also
     hab ich das gemacht und kriegte dann recht bald einen Steuerbescheid über die letzten drei Jahre, aber das war natürlich nicht
     viel, das Schlimmste waren die darauf veranschlagten Hinterziehungszinsen, aber das alles machte, wie die Omi gesagt hätte,
     den Kohl nun auch nicht mehr fett.«
    Doktor Palmenberg hat, während sie Hendrikje zuhörte, so lange nervös an ihrer Hochsteckfrisur herumgefummelt und -gezupft,
     bis die auseinander zu brechen drohte und sie es notwendig fand, die Haare ganz zu lösen und zu einem glatten, konzentrierten
     Knoten im Nacken energisch zusammenzustecken. Jetzt sieht sie nicht mehr ganz so ohnmachtsgebietend schön aus, weswegen Hendrikje
     sie erleichtert anschaut. »Tja, so war das.«
    »Wie hat denn«, will die Palmenberg wissen, »Ihre Chefin reagiert? Sie mussten ihr ja wohl nun doch den Unfall berichten.«
    »Ja. Ich bin hin zu ihr und habe gesagt: ›Jemand hat all meine Bilder verbrannt.‹ Und sie hat gelacht und gesagt: ›Waren die
     denn so schlecht?!‹, weil sie natürlich dachte, ich würde Witze machen. Naja, sie merkte ja dann rasch, dass es kein Witz
     war.«
    »Aber als sie merkte, dass Sie keine Witze machen, was hat sie da gemacht?«
    »Sie hat mich vor den Gästen ausgeschimpft, weil sie wegen meinem Offenbarungseid ihre Buchführung teilweise offen legen musste.
     Und während sie tobte, saß der doofe Bruno am Tresen, hörte alles, glotzte mich mitleidig an und brachte doch wieder kein
     Wort ’raus. Die Goebbels |45| schimpfte munter weiter, weil jetzt die Gefahr bestand, dass der ganze Laden einer Steuerprüfung unterzogen wurde. Sie hat
     gesagt, dass ich nur Schwierigkeiten mache und dass sie mich am liebsten rausschmeißen würde, sie mich aber leider noch brauchen
     würde und ich ihr nicht so schnell

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