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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hab … also … Ernst …‹
    ›Und?‹, wollte Dieter jetzt wissen, ›hat Ernst was mit dem Ärger zu tun?‹
    ›Nee‹, hab ich gesagt, ›Ernst weiß noch gar nichts davon, der ist im Skiurlaub. Es ist halt‹, und nun erzählte ich es ihm
     eben doch, ›dass meine Omi gestorben ist. Und in derselben Nacht sind alle meine Bilder verbrannt, und die machen mich jetzt
     für den Brand verantwortlich und ich bin pleite für den Rest meines Lebens.‹ Und da merkte ich erst, dass ich schon mittendrin
     in der schönsten Flennerei war, also, ich heulte, was das Zeug hielt. Und Dieter hat mich einfach nur in den Arm genommen
     und mich festgehalten und mich heulen lassen und gedrückt und gesagt: ›Na dann heul erst mal ’n Stückchen.‹ Das hab ich dann
     gemacht. In Dieters |48| Armen. Und als ich fertig war, hat Dieter gesagt, ich sollte mal lieber bei ihm bleiben. Mit Sachen an und wie Bruder und
     Schwester könnten wir beide in dem Feldbett schlafen, das Lisa ihm hingestellt hatte, das würde schon gehen und für alles
     andere wär es ja eh zu kalt. Ehrlich gesagt war ich ziemlich dankbar für diesen Vorschlag. Die Aussicht, nicht alleine nach
     Hause gehen zu müssen, war schon sehr verlockend, und dann auch noch in den schwer schönen Rembrandt-Armen von Dieter zu schlafen,
     angelehnt an sein Segelschiff, von dem ich ja wusste, dass es die ganze Nacht unter den langen Ärmeln seines Sweatshirts dahinsegeln
     würde … hmmm.
    Wir haben uns in unseren Anziehsachen in Dieters Schlafsack gezwängt wie die Ölsardinen und auf das superschmale Feldbett
     gelegt. Dieter lag an meinem Rücken, ich konnte ihn riechen und er roch gut. Wir sind gleich eingeschlafen und ich weiß noch,
     dass ich tief und fest und gut geschlafen habe in Dieters Armen. Wie in Abrahams Schoß.
    Am nächsten Morgen bin ich davon aufgewacht, dass ich mich beobachtet fühlte. Ich hab mit Absicht die Augen zugelassen, weil
     ich dachte, wahrscheinlich ist Dieter aufgestanden und schaut mich an. Ich wollte ihm zuliebe so tun, als würde ich es nicht
     merken, aber dann hab ich doch gelächelt, damit er sieht, dass ich wach bin. Aber da hab ich plötzlich gespürt, dass der Dieter
     immer noch hinter mir lag. Da hab ich dann die Augen aufgemacht und mich umgesehen: Es war niemand bei uns im Loft, aber die
     Holzlattentür mit den vielen Ritzen wurde plötzlich ganz hell, als hätte jemand davorgestanden und würde jetzt weglaufen.
     Dann hörte ich Schritte im Treppenhaus, die immer leiser wurden.
    Lisa – das konnte nur Lisa gewesen sein, fuhr es mir durch den Kopf und der Gedanke weckte mich schlagartig, |49| weil sie das natürlich richtig scheiße finden würde, dass ich bei Dieter geschlafen hatte … Andererseits war ja nun wirklich
     gar nichts passiert mit Dieter, und Lisa hätte allen Grund gehabt, ruhig zu bleiben, es sah ja nach mehr aus, als es war.«
    »Sie fürchteten sich vor Lisas Eifersucht?«, fragt die Palmenberg.
    »Ja, schon. Sie ist ja meine Freundin gewesen, zu diesem Zeitpunkt immer noch, und es gehört sich ja nicht, seiner Freundin
     den Liebhaber auszuspannen, oder?«
    »Es gehört sich nicht?«
    »Nein, tut es nicht. Ich möchte auch nicht, dass meine Freundinnen mir meine Liebhaber ausspannen!«
    »Aber es kommt vor, oder?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Was? Woher weiß ich was?«
    »Na, das mit den Freundinnen und den Liebhabern?«
    »Also es
ist
tatsächlich vorgekommen!?«
    »Ja, allerdings! Das ist ja das Fiese! Ich kriegte sofort die Quittung für meine Nacht mit Dieter.«
    Traurig grinst die Palmenberg über ihren Schreibblock hinweg auf das Beistelltischchen mit der Murano-Vase und den frischen
     Lilien darin und sagt leise: »Oh Gott, Hendrikje, Sie haben einen tätowierten Räuber im Bett, behalten Ihren Anorak an und
     nennen das eine ›Nacht mit Dieter‹?«

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    Was hätten Sie lieber? Das alte Jahr noch mal
oder lieber doch ein neues? Oder das alte Jahr
noch mal mit dem besseren Wissen der im
alten Jahr gemachten Erfahrungen? Auja!
denkt wahrscheinlich jeder, ich könnte am
11. September gleich zum Frühstück die Glotze
anmachen und live dabei sein, wenn sie in
die Twin Towers krachen! … Aber nee, wären
sie ja gar nicht, weil das Bodenpersonal in
Boston gewusst hätte, was die Jungs vorhatten
, und sie gar nicht erst hätte einsteigen lassen
. So ist das nämlich. Anstatt dass alles besser
passierte, passierte nichts.
    Jeder Selbstbetrug fängt nicht etwa damit
an, dass die Menschen an

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